Übers Wesen der Sportfunktionäre: Herrliche Überlebenskünstler
Warum wir Sportfunktionäre brauchen. Eine wahre Phänomenologie des wuseligen Wesens in seinem natürlichen Lebensraum.
Etwas Gutes haben die leeren Stadien der momentan stattfindenden olympischen Spiele. Dort kann ein biologisches Phänomen studiert werden, das sonst nur schwer greifbar ist. Da außer Sportlern, Security- und Mediengestalten, nur eine einzige andere Art von Wesen zugelassen ist, lassen sich in Tokio nämlich die lichtscheuen Vertreter einer besonderen Lebensform bestens auf freier Rennbahn beobachten: die Sportfunktionäre.
Vieles ist bei diesen Geschöpfen, die aus einer üblen Laune der Natur entstanden sein müssen, noch ungeklärt. Es beginnt mit der Fortpflanzung: Wo sind die Weibchen? Nur in extrem seltenen Fällen wie etwa Frauenfußball lassen sich weibliche Funktionärinnen beobachten. Dann aber auch nur in solch geringer Anzahl, dass diese nicht ausreicht, die Existenz einer derart hohen Zahl männlicher Funktionäre zu erklären.
Theorien besagen, dass Funktionäre sich in sogenannten Verbänden selbst vermehren. Ähnlich der Paarung bei Schnecken verwandeln Sportfunktionäre ausgewählte, noch völlig arglose humanoide Individuen in einem „Sitzung“ genannten morphologischen Balzritual zu ihresgleichen. Handfeste Belege dafür gibt es keine – Funktionäre haben eine natürliche Abneigung gegen Transparenz.
Klar dagegen ist die biologische Klassifizierung des Sportfunktionärswesens. Es ist ein Säugetier. Es saugt gern an Staaten und Institutionen, um an die notwendigen Inhaltsstoffe wie Geld zu gelangen. Dafür hinterlässt es Stoffwechselprodukte wie zerfallende Stadien, Autobahnen ins Nichts, gigantische Budgetlöcher oder exponentiell steigende Infektionszahlen. Von diesen Hinterlassenschaften bekommt aber der Sportfunktionär nur selten etwas mit. Meist leugnet er deren Existenz und entzieht sich der Konfrontation mit den Konsequenzen seines Tuns durch Teilnahme an einem von ihm erfundenen „Sportevent“.
Er ist exklusiv gewandet
Auf sein äußeres Erscheinungsbild achtet der Sportfunktionär sehr. Während er sich unter Sportler mischt, die meist schlecht, grell und vor allem die weiblichen spärlich gekleidet und obendrein gezwungen sind, Zeichen ihrer Gutsherrn-Sponsoren zu tragen, tritt der Sportfunktionär so dezent wie nur möglich auf. Nur der Zeitmesser am Handgelenk lässt auf die exklusive Qualität des Tuchs schließen, das ihn umhüllt. Der Sportfunktionär sieht stets so aus, als würde er gerade von einer Mottoparty „Organisierte Kriminalität“ kommen.
Was aber ist nun die Aufgabe des Sportfunktionärs im Ökosystem? Die ökonomische Nische dieser parasitären Lebensform demonstriert einerseits die wirtschaftliche Gesundheit einer Region, eines Landes oder einer Firma. Andererseits sind Sportfunktionäre derartige Überlebenskünstler, dass sie sogar in unwirtlichster ökonomischer Umgebung wie dem Erzgebirge immer noch genügend Individuen finden, die sich zum Sportverein zusammenschweißen lassen – dem natürlichen Habitat des Funktionärs. An praktischer Intelligenz mangelt es ihm also keineswegs. Seinem Umfeld bisweilen schon.
Sportfunktionäre sind übrigens auch wichtig für die Polizei. Und zwar auch außerhalb von Polizeisportvereinen. Wo sollten denn Ermittler verschwundene und gewaschene Gelder suchen, wenn nicht in den verständigen, warmen Armen des örtlichen Sportfunktionärs? Sponsorenverträge, Bauvorhaben für Stadien, Bannerwerbung, Spenden, Werbekosten, verrechnete und unverrechnete Freikarten – in der Buchhaltung eines Sportvereins herrscht kreatives Durcheinander, ein diverses Biotop für Belege, Ausgaben und Rechnungen. In diesen „Kassen“ genannten Nestern, die der Sportfunktionär stets anlegt, existieren Ausgaben und Einnahmen in unübersichtlicher Wichtigkeit nebeneinander. Sie bilden die ineinander verschlungenen Beziehungen der Region – Fachleute sprechen von „Filz“ – genau ab, bis keiner mehr den Durchblick hat. Außer einem.
Denn wer hält dieses sensible Ökosystem undurchdringlicher finanzieller Flüsse am Leben? Wer ist der Ranger dieses ökonomisch wertvollen Sumpfes? Der Sportfunktionär. Was für die Natur gilt, gilt in der Wirtschaft, der Sauwirtschaft und der Schattenwirtschaft erst recht: bloß nicht eingreifen. Die Dinge wachsen und ihren Lauf nehmen lassen.
Denn es braucht unbedingt einen, dem man blind vertraut, der alles am Laufen hält und professionell wegschaut. Aber auch die gezielte Handlungsbereitschaft, der geplante Aktionismus, das rastlose Irgendetwas-tun-Müssen würde ohne das Sportfunktionärswesen keinen Halt finden. Beispiel Bauwirtschaft: Wie viele Stadien, Sportstätten und Vereinsbüffets würden ungebaut bleiben?
Ganze Staaten würden ohne das Sportfunktionärswesen zusammenbrechen. Wer hier an etatistische Fun-Projekte wie das Fürstentum Monaco, die Färöer Inseln oder den Freistaat Bayern denkt, liegt nicht ganz falsch. Letzterer existiert zum Beispiel nur qua Gnade der Funktionäre des FC Bayern. Der lenkt das Wahlvolk ab, und die christlich-soziale Einheitspartei geht derweil ihren Gschäfterln im Flutlichtschatten nach.
Er rettet ganze Staaten
Doch ohne das Sportfunktionärswesen gäbe es noch wesentlich prominentere Opfer. Die Schweiz etwa. Dieser gebirgige Bankenstaat müsste sich ohne das Geld von IOC, FIFA, UEFA, weiteren „Vereinen“ und den mit ihnen verbundenen Geschäftsbanken auf den Verkauf von überteuerten Uhren, Schokoladen sowie unhandlichen Mehrzweckmessern konzentrieren und würde auf das wirtschaftliche Niveau von Guinea-Bissau absacken.
Aber – keine Panik – es gibt ja eben diese wuseligen Wesen, die sich hervorragend zum Halten eines Proseccoglases und Führen eines namenlosen Bankkontos eignen. Man trifft sich in den Alpen und pflegt ein Ritual, ähnlich dem Hochzeitsflug staatenbildender Insekten. Sie nennen es „Generalversammlung“ oder „Kongress“. Damit meinen sie die Kontaktaufnahme mit anderen internationalen Lebewesen derselben Spezies zum freundlichen Austausch von Kontonummern.
Neuerdings sind immer wieder Stimmen zu hören, man müsse sich dem Befall durch die parasitäre Lebensform entschieden entgegenstellen. Das ist jedoch weder realistisch, noch ist es sinnvoll. Denn die Spezies des Sportfunktionärs ist in „normale“ wirtschaftliche Abläufe schlicht nicht zu integrieren. Diese Sitzungsriesen, Laberweltmeister, Geschäftsreisende in eigener Sache, diese Kofferträger, Handaufhalter und Anzugfüller, sie alle sind absolut unersetzbar. Wo sollten sie im wirklichen Leben auch an anderer Stelle eingesetzt werden? Im Verfassungsschutz?
Eine solche Integrationsmaßnahme scheitert bereits am Beuteverhalten des gemeinen Sportfunktionärs. In staatlichen Institutionen verhungern sie, da sie dort nicht annähernd jenes Gehalt bekommen, das sie zum Überleben brauchen. Schließlich ernährt sich der Sportfunktionär eben nur von einem: vom Geld. Das ist alles, was ihn interessiert. Sport zum Beispiel ist ihm völlig egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen