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■ StandbildÜbermacht der Jetztzeit

„Themenabend Arbeit“, Donnerstag, 20.45 Uhr, arte

Was gäbe es einen besseren Ort für eine Sendung über die Zukunft der Arbeit als die größte innerstädtische Brachfläche Europas. Immer wieder wandert der Blick der Kameras über die Kräne am Potsdamer Platz in Berlin, wo sie die Dämmerungssonne ins Nichts spiegeln. Hier, wo zwei Rüstungskonzerne ihre Wertschöpfung im Virtuellen der Know-how-Produktion suchen, wo Bauarbeiter aus ganz Europa um sinkende Löhne konkurrieren – hier hätte schon ein Blick aus dem Fenster genügt.

Die neue arte-Reihe „Was uns auf den Nägeln brennt“ schafft die Chance, sich an einem langen Abend changierenden Blicks einem europäischen Thema zu widmen – und verspielt sie in der ersten Sendung: thematisch, konzeptionell, ästhetisch. Das Epochenthema Arbeit wird zunächst auf die Techniken der Beschäftigungspolitik reduziert und sodann als Unterabteilung der Standortdebatte abgehandelt. Lohnnebenkosten und so. Hier sind die Franzosen besser, besser als „wir“, dort die Amerikaner und immer wieder „die Asiaten“. „Selbst im historischen Nürnberger Bratwursthäusle muß man auf Asiaten zurückgreifen.“ Da werden zu den dräuenden Zeitlupenbildern der Arbeitslosenheere noch einmal die Kampfplätze der dämmernden Industriezeit bezogen, und kritik- und distanzfrei läßt Autorin Hannelore Gadatsch Bertelsmann- Gründer Reinhard Mohn Platitüden aneinanderreihen.

Und auf zum nächsten Interview: „Herr Doktor Späth, Sie lesen den Deutschen die Leviten.“ Erst der Jenoptik-Chef überschreitet den engen Horizont. Doch anstatt seine Thesen über regellose Globalisierung und regelsetzende europäische Kulturtraditionen aufzugreifen, fallen Gadatsch dazu nur dümmliche Sätze ein. Die Filmbeiträge entfalten das gediegene Klima, das der Arbeit in ARD-Studios so eigen ist. Keine kreativen Jungs im Bild, die vorführen, wie es gehen könnte, sondern graue Apparatschiks allenthalben, die sagen, wie es sein muß. Wir nähern uns mit den – auch ästhetischen – Mitteln des Industriezeitalters seinem Zerfall. „Die Übermacht der Jetztzeit“, sagt Ernst-Ulrich von Weizsäcker in einem schön geschnittenen Essay, gelte es zurückzudrängen. Nun, zeigt der Film, gehe es darum, „neue Werte zu produzieren“. Wir sowie unsere Bewußtseinsproduzenten stehen, was das betrifft, noch ziemlich blöd da. Lutz Meier

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