Überm Kesselrand: Dialog ohne Keule
Judith Scheytt, 18, zu Hause im schwäbischen Weinstadt, hat schon früh gelernt, dass Demos wichtig sind. Das sei ein "Ausdruck demokratischen Interesses", sagt sie und verweist auf ihre Eltern. Die Mutter spielt Geige im Staatsorchester Stuttgart, der Vater Cello in München, und wenn es gegen Atomkraft oder Stuttgart 21 ging, waren die Scheytts auf der Straße.
Mit 15 ist Judith Scheytt aktiv bei den Stuttgarter Fridays, beim Weinstädter Klimabündnis, zum Sommerfest ("Engagement: Ehrensache") des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) eingeladen, zwei Jahre später Gast bei Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), die sie für ihren Podcast über die "Letzte Generation" auszeichnet. Aus ihrem Selbstverständnis als Aktivistin für Klimaschutz und Menschenrechte macht die junge Influencerin kein Geheimnis.
Im Januar 2025 erhält sie den angesehenen „Donnepp Media Award“, den der Verein Freunde des Adolf-Grimme-Preises verleiht. Er lobt Scheytts Posts auf Instagram und TikTok als „kenntnisreich und analytisch brillant“. Ein Thema ist das Leid der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland, die einseitige Berichterstattung darüber, verbunden mit scharfer Kritik an der Regierung Netanjahu.
Drei Monate später wird ihr der Preis aberkannt. Begründung: „Systematische Verzerrung und selektive Kontextualisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts“. Später wird es den Verdacht geben, dass das Satzungetüm einer KI entspringt, die mit einer 39-seitigen Analyse aufwartet, darin aus dem von Israel zerstörten Al-Schifa-Krankenhaus ein „Schieferkrankenhaus“ macht.
Der Hintergrund: Die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, ein pro-israelitischer Verein, hat Druck ausgeübt und laut Preisverleiher mit einer „Medienkampagne“ gedroht. Eine schlechte Presse wollte sich das renommierte Grimme-Institut nicht leisten und forderte den Preis zurück. Der Vorwurf Antisemitismus genügte. Derzeit ist Scheytt mit der „Global Sumud Flotilla“ unterwegs, einem internationalen Schiffskonvoi, um humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen zu bringen.
In der Jury des „Donnepp Media Award“ sitzt auch der Journalist Steffen Grimberg. Der frühere ARD-Sprecher und heutige Leiter des KNA-Mediendienstes hält die Aberkennung für „komplett falsch“. Es müsse doch möglich sein, sagt er, die Regierung in Jerusalem zu kritisieren, „ohne gleich als Antisemit gebrandmarkt zu werden“. Das gehöre zu einem „ehrlichen Dialog unter Freunden“. In diesem Sinne wünscht er der Kontext-Veranstaltung gutes Gelingen.
Die Kontext-Podiumsdiskussion mit anschließendem Publikumsgespräch findet statt am Dienstag, 23. September 2025 um 19.30 Uhr im Kulturzentrum Merlin, Augustenstraße 72, Stuttgart-West. Der Eintritt ist frei, Kontext freut sich über Spenden. Anmeldung unter info@merlinstuttgart.de.
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