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Überhöhte Männer in der Moderne

■ betr.: „Vom bösen Blick ver flucht“ (Hexenverfolgung und Vertreibungen in Afrika ...), taz vom 26. 7. 95

Es ist rührend, daß sich ausgerechnet die katholische Mission um Opfer der Hexenverfolgung kümmert! Ist endlich die Zeit der Sühnearbeit gekommen für die Hexenverfolgung durch die Kirche zu Beginn der Neuzeit? Es ist zu befürchten, daß sie die Frauen nur in Schutz nimmt, weil sie nicht weiß sind und in den USA oder Europa das Recht auf Abtreibung einfordern und die männliche Theokratie der katholischen Kirche nicht in Frage stellen!

Die Hexenverfolgung als traditionelles afrikanisches Phänomen darzustellen, ist ein geschickter Schachzug! Damit kann man zum Schlag ausholen gegen die „böse“ Naturreligion, die von der katholischen Kirche und demokratischen Abgeordneten, Garanten der „guten, modernen Zivilisation“ bekämpft werden müssen! [...]

Schlimm ist, daß dieser Artikel nicht beim Namen nennt, warum diese Frauen Opfer werden: Nämlich, weil sie nicht mehr als Garantinnen des sozialen Friedens und der Umverteilung des Wohlstandes auftreten können, weil der moderne Staat ihre Rechte nicht sichert, sondern sich an den Mann als Familienoberhaupt wendet, wenn es um Geld und Arbeit geht. Ihm wird die gerechte Verteilung anvertraut, die bisher Sache der Frau war, in der er nicht geübt ist. Auch viele Entwicklungshilfeinstitutionen richten sich bei gewichtigen Projekten an den Mann. Dieser wird zum Familienversorger hochstilisiert, eine Aufgabe, auf die er nicht vorbereitet ist und die er kaum auszufüllen vermag. [...]

Männer werden nicht Opfer von sozialer und symbolischer Ausgrenzung, weil sie in der Moderne in ihrer Wichtigkeit gestützt und in ihrem Prestige entschieden überhöht werden. Die Frauenfeindlichkeit der Moderne findet ihren Weg mit der Hexenverbrennung. Das ist ein gutes Mittel, um auch die letzten Zweifel im eigenen Selbst auszumerzen, ob die Zeiten der starken Frauen vielleicht doch nicht so schlecht waren. Erst mit der symbolischen Vernichtung des hohen Wertes der Frau kann die Moderne Einzug halten. Das ist uns seit Anbruch der Neuzeit und der Hexenverfolgung in Europa bekannt. In Westafrika findet das Ringen um die Moderne jetzt statt, und sie fordert ihre Opfer zuallererst unter den Frauen. Barbara Zeller, Dipl.-Psychologin und Entwicklungssoziologin,

Bielefeld

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