Übergabe von getöteten Palästinensern: Leichen als Verhandlungsmasse
Israels Verteidigungsminister Barak stoppt die Übergabe von 84 getöteten Palästinensern. Die Leichen dienen als Pfand für einen entführten israelischen Soldaten.
JERUSALEM taz | Die toten Körper der Brüder Adel und Emad Awadallah sollen als Faustpfand für künftige Verhandlungen um die Befreiung des entführten Soldaten Gilad Schalit herhalten. In letzter Minute hat Israels Verteidigungsminister Ehud Barak die Übergabe von insgesamt 84 toten Palästinensern an die Autonomiebehörde in Ramallah deshalb gestoppt.
Hussein al-Sheikh, Chef der palästinensischen Generalverwaltung für Zivilangelegenheiten, zeigte sich über den Sinneswandel in Jerusalem erstaunt. Schon am Montag hatte er die ihm von Israel ausgehändigte Liste mit den Namen der toten Palästinenser veröffentlicht.
Es hatte eine "humanitäre Geste" sein sollen, so verlautete Anfang der Woche aus dem Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, um den Familien die Beerdigung ihrer Väter, Söhne und Töchter noch vor Beginn des Fastenmonats Ramadan am 1. August zu ermöglichen.
"Wir handeln nicht mit Leichen", hieß es. Israel hege keine Einwände gegen einen Transfer der Toten. Nicht ganz so großzügig reagierte indes eine Reihe von Ministern. Israel müsse "alle Trümpfe" für einen Handel um Gilad Schalit in der Hand behalten, kommentierte Dan Meridor, Minister für Geheimdienste. Der entführte Soldat befindet sich seit fünf Jahren in den Händen der Hamas im Gazastreifen. Mehr als eintausend palästinensische Häftlinge fordert die Hamas für einen Geiseltausch.
Die 1998 von der israelischen Armee exekutierten Brüder Awadallah gehörten zur Führungsriege der Hamas-nahen Terrorgruppe Essedin al-Kassam. Die Namensliste umfasst Kämpfer aus der frühen Besatzungszeit und Selbstmordattentäter aus den Jahren der Zweiten Intifada, darunter die 29-jährige Anwältin Hanadi Dscharadat aus Dschenin, die in einem Haifaer Restaurant 21 Menschen mit sich in den Tod riss.
Nach Auskunft von Hussein al-Sheikh rechneten die Palästinenser nicht nur mit den 84, sondern mit weiteren 102 Leichen, die "Israel ohne Vorbedingung" in Kürze den Palästinensern übergeben wolle. Barak räumte angesichts der fortgesetzten Verwesung raschen Handlungsbedarf ein. "Schon bald wird es nichts mehr geben, was ausgeliefert werden könnte." Dennoch solle erneut die Identität der Leichen überprüft werden.
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