: Überbordender Soundclash
„Queen Dem“, eine neue Compilation des Londoner Labels Soul Jazz, versammelt junge Künstlerinnen aus aller Welt und bringt ihre Musik auf die Nenner Euphorie und Inspiration
Von Emilia Papadakis
„Queen Dem“, eine Compilation des britischen Labels Souljazz, bringt 16 internationale Künstlerinnen zusammen. Jenseits von Genre-Schubladen kreieren sie selbstbewusst ihre jeweils eigenen Soundwelten. Es ist eine typische Veröffentlichung des Londoner Labels.
Seit den 1990ern gräbt Soul Jazz meist verstaubte musikalische Schätze aus aller Welt aus und lässt sie in akribisch kuratierten Compilations neu aufleben. Das Londoner Label folgt dabei keinem festgelegten, stilistischen Muster – stattdessen streift es mit offenen Ohren durch Raum und Zeit, über Genre- und Ländergrenzen hinweg. Ob Afrohouse aus Lagos, Dancehall aus Jamaika oder UK-Drill: Selbst diese Beschreibungen greifen zu kurz, um die aufgebotenen Künstlerinnen der neuesten Compilation des Labels zu fassen.
„Queen Dem“ beginnt fulminant. Der Auftaktsong hält gleich die geballte Ladung an Soundexperimenten bereit: Ein harter, fast mechanischer Beat, der sich unter aufdringlich-grelle Piepstöne und verzerrte Synths schiebt. Das 2020 ursprünglich als Single veröffentlichte „Nobody“ der in England lebenden französischen Produzentin Coucou Chloe ließe sich stilistisch zwischen Industrial-Techno, Dark-Room-Pop und Trap verorten. Mit ihrer eigenwilligen Soundpalette hat es die junge Künstlerin (die auch als Model arbeitet) gleich zweimal aufs Album geschafft. Auch ihr Track „Pokerface“ schlägt in dieselbe Kerbe: Coucous Musik schrammt, piepst und poltert. Als wolle die Künstlerin mit jedem Klangelement noch eins draufsetzen – ihre Hörer*innen einem musikalischen Stresstest unterziehen.
Aus dem düsteren Fiebertraum zieht einen dann Sudan Archives mit „Selfish Soul“ wieder heraus. Der Track beginnt mit einem ähnlich treibenden, kantigen Beat – bringt aber durch eingängige Melodien schnell Leichtigkeit ins musikalische Treiben. Mit ihrer Stimme tänzelt die US-Sängerin auf dem Rhythmus, als würde sie um einen inneren Konflikt kreisen: „If I wear it straight / Will they like me more?“ Sudan Archives rappt und singt über ihre Haare und über die Anpassung an gesellschaftliche Schönheitsideale. Im Refrain werden Zweifel zur Selbstermächtigung: „About time I embrace myself and soul / Time I feed my selfish soul.“ Mit dem dazugehörigen Album erzielte Sudan Archives 2022 ihren Durchbruch und etabliert seitdem eine gefühlvolle Soundwelt zwischen Jazz, Soul und HipHop.
Der nächste Track kommt ähnlich leichtfüßig, aber heiterer daher: Mit „Meet Me In Brooklyn“ nimmt US-Sängerin Yaya Bey aus New York ihre Hörer*innen mit auf einen Spaziergang an einem Strand von Jamaika: unbeschwerte Reggae-Vibes, die überraschen – wo die Compilation vorher zwischen rauem Drill, energetischen Afrobeats und experimentellen Elektrosounds jongliert. Auf ihrem zweiten Track „Best Thang“ zeigt sich Yaya Bey mit kraftvoller Stimme von ihrer souligen Seite: „I’m the best thing that ever happened to you“. Und mit Gitarrenriff – ein Novum auf dem ansonsten elektronisch grundierten Album.
Genauso wenig lässt sich die japanisch-britische Künstlerin Miso Extra auf ein Genre festnageln. Ihren musikalischen und kreativen Kosmos hat sie selbstbewusst „Misoverse“ getauft: Ein Klanguniversum, bei dem sie sich spielerisch mal mit dem Konzept von Weiblichkeit, mal mit ihrer eigenen Herkunft auseinandersetzt. So rappt und singt sie in „1013“ zweisprachig auf Japanisch und Englisch und paart ihre verträumte Stimme mit einem geschwungenen HipHop-Akkordeon-Beat. Bis zum Schluss folgt die Dramaturgie von „Queen Dem“ keinem klaren Spannungsbogen, sondern changiert zwischen hypnotischer Träumerei und pulsierender Tanzstimmung. Aber das Finale, „Train of Love“ von Nira, sitzt genau an der richtigen Stelle. Zum ersten Mal wird die Musik jazzig und der turbulente Soundinput darf sich langsam, aber sicher beruhigen. Mit der US-Latinx Nira Perez bringt „Queen Dem“ eine Künstlerin auf den Radar, die bislang vor allem als Leadsängerin der Selena-Tribute Band Amor Prohibido bekannt war – und hier als Solostimme überrascht.
Die Auswahl von „Queen Dem“ wagt hier Neues und macht neugierig auf die Künstlerinnen. Gemeinsam schaffen die Songs mehr als nur die Summe für einen Musikkosmos, mal fasziniert die Musik, mal überfordert der Genre-Soundclash. Bisweilen fühlt es sich an, als würde man durch ein Labyrinth irren, in dem zu viele Elemente gleichzeitig um Aufmerksamkeit ringen. Im nächsten Moment macht genau dieses Verwirrspiel wieder Spaß.
Verschiedene: „Queen Dem“ (Soul Jazz/Indigo)
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