piwik no script img

Über mangelnde KonfliktkompetenzWittgensteins Schuppen

Wer schlechte Stimmungen nicht aushält, muss Konflikte delegieren. Doch ist das nun feige oder klug?

Auch auf dem Recyclinghof kann man dem Ethikrat begegnen Foto: Maja Hitij/dpa

K ürzlich ging ich zum Recyclinghof, um dort Kompost zu kaufen. Es ist eine der erstaunlichen Eigenschaften des Recyclinghofs, dass er Kompost hervorbringt, zumindest auf den ersten Blick, aber noch erstaunlicher ist die Freundlichkeit der Menschen, die dort arbeiten. Vielleicht ist es die Befreiung von Ballast, die die Leute hier so umgänglich macht, dachte ich, oder die Erfahrung, dass sich aus nahezu allem noch etwas Sinnvolles machen lässt.

Auf dem Weg zur Kompostverkaufsstelle begegnete ich dem Ethikrat, der einen leeren Leiterwagen hinter sich herzog. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Handreichungen in Fragen praktischer Ethik geben. „Guten Tag“, sagte ich, „sind Sie auch auf der Suche nach Kompost?“ „Nein“, sagte der Älteste von ihnen, der zugleich Vorsitzender ist, „wir suchen nach günstigen Baumaterialien.“

„Sie bauen“, sagte ich überrascht, denn der Rat war in der Vergangenheit nicht durch praktische Tätigkeiten aufgefallen. „Wir planen den Nachbau philosophisch bedeutsamer Orte“, sagte der Vorsitzende. „Als Einstieg dachten wir an den wittgensteinschen Schuppen.“ Die beiden anderen Ratsmitglieder stellten eine Trittleiter auf und stiegen mühsam in einen Container mit Altholz. „Aber nun zu Ihnen“, sagte der Vorsitzende. „Haben Sie eine Frage an uns?“

Ich betrachtete eine halbe Leiter, die aus einem der Container ragte und dachte an den Eklat, den unsere neu installierte Katzentreppe provoziert hatte. „Wir hatten sie probeweise aufgehängt, als eine Nachbarin kam und schrie, dass wir sie wegen Brandgefahr abnehmen müssten“, sagte ich. „Ich habe meinen Freund geholt, damit er mit ihr spricht. Als es dann wieder klingelte, habe ich schon gar nicht mehr selbst die Tür geöffnet, sondern aus dem Nebenzimmer zugehört, wie sich die anderen Nachbarn beschwerten.“

„Nun“, sagte der Ratsvorsitzende, „welche Frage leiten Sie daraus ab?“ „Die Frage, ob das Delegieren von Konfliktaustragung feige oder im Gegenteil klug ist“, sagte ich. „Zumindest, wenn klar ist, dass man selbst zu einer emotional gefärbten Reaktion neigt.“

Die Geschichte kennt Wittgenstein als Mann, der mit den Händen arbeitete, sagte der Ratsvorsitzende erfreut

Aus dem Inneren des Containers schob sich ein altes Waschbrett. „Die Geschichte kennt Wittgenstein als Mann, der mit den Händen arbeitete“, sagte der Ratsvorsitzende erfreut und schleppte das Brett zum Leiterwagen, wo bereits etwas Rohrähnliches lag. „Wussten Sie, dass Wittgenstein eine Türklinke entworfen hat“, sagte er zu mir und näherte sich dem Container für Altmetall.

„Nein, das wusste ich nicht“, sagte ich. „Aber mehr noch interessiert mich, ob dieses Nichtaushaltenkönnen von Antipathie eine spezifisch weibliche Hypothek ist, an der man arbeiten muss.“ Tatsächlich hatte ich mich nach dem Geschrei bei der Volkshochschule zu einem Kurs zur Konfliktbewältigung angemeldet, der aber ausgefallen war. Seitdem versuchte ich die Wohnung nur dann zu verlassen, wenn niemand im Treppenhaus war.

„Ist ein spezifisch weibliches Harmoniebedürfnis nicht eine überkommene Zuschreibung“, murmelte der Ratsvorsitzende, während er einen Recyclinghofmitarbeiter beobachtete, der den rohrartigen Gegenstand vom Leiterwagen hob. „Haben Sie unsere Türklinke abgeschraubt?“, fragte der Mann. „Uns ist aufgefallen, dass sie starke Ähnlichkeit mit dem wittgensteinschen Modell hat“, sagte der Ratsvorsitzende vorsichtig. Der Recyclingmann strich nachdenklich über das Rohr. „Da gebe ich Ihnen recht“, sagte er, „brauchen Sie mehr?“ „Sicher haben sie auch foucaultsche Fenstergriffe“, rief ich ihnen hinterher, aber ich rief es leise, denn noch immer fehlte es mir an Konfliktkompetenz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Friederike Gräff
Redakteurin taz nord

3 Kommentare

 / 
  • Ja wie? Türklinke?



    Klar doch: «Die Welt ist alles, was der Fall ist.»



    & Schuppen? - na logo =>



    «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»



    & Däh =>



    Wußte auch schon Schroedingers 🐈‍⬛ 🪜 Gellewelle.

    • @Lowandorder:

      Ooch wieder wahr =>

      Foucault pendelt noch! Newahr.



      Normal - wa.

  • Wenn man durch Delegieren sinnlosen Streit oder eine folgenschwere Eskalation vermeiden und dafür eine Lösung des Konflikts erreichen kann, is das nicht feige sondern klug.

    Es gibt aber auch die Tendenz bei vielen Menschen, sich Konflikten und unangenehmer Meinungskonfrontation generell zu verweigern. Ich erlebs immer wieder, dass sich langjährig befreundete Menschen auseinanderleben, weil sie es nicht schaffen, über ziemlich simple Probleme einfach mal zu reden und sie aus der Welt zu schaffen.

    Da isses heute oft wichtiger, nicht zu riskieren, den Gegenüber auch nur potentiell vor den Kopf stoßen zu können oder in die Gefahr zu geraten, die eigenen Emotionen ein wenig entblösen zu müssen. Wenn man dann nachfragt, "hast du das Thema mal angesprochen" oder "Habt ihr euch mal ausgesprochen", kommt dann sowas wie "na ich weiß nicht, ob der/die darüber sprechen möchte" oder "ich möchte niemanden mit meiner Meinung verletzen".

    Und das ist natürlich schon feige. Den Totalschaden akzeptieren, weil man Angst vor Kratzern hat.