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Über den Stress, sich zu entspannenIm Kopf tausende offene Tabs

Runter vom Dauerstress. Aber wie? Also ab in die Sauna. Und in den Auwald. Doch Entspannung auf Teufel komm raus ist ganz schön anstrengend.

Und jetzt heißt es: entspannen Foto: picture alliance/dpa/Felix Kästle

A n meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag steigen mir ätherische Öle in die Nase. Es ist der erste Aufguss meines Lebens. Mein Po ist auf dem Handtuch platziert. Sieben Minuten lang sitze ich in einer Holzhütte und habe Schwierigkeiten, eine bequeme Sitzposition zu finden. Die trockene Luft macht mir Probleme. Ich muss die Augen schließen. Für meine Freun­d*in­nen scheint das gerade die absolute Mega-Entspannung zu sein, für mich ist saunieren der absolute Kampf: Ich fühle mich eklig und warte nur darauf, den Raum mit der brechenden Hitze endlich zu verlassen. Gut 16 Euro habe ich für den Eintritt bei der Sachsentherme hingeblättert, deshalb wiegt die Enttäuschung umso mehr. Denn was ich gerade brauche, ist Entspannung.

Seit über einem halben Jahr lebe ich in einem Dauerstress – tausende Tabs in meinem Kopf sind offen, aber nichts wird wirklich fertig. Mein Körper signalisiert mir schon eine Weile, dass er nicht mehr kann: Ich habe Kopfschmerzen, ich knirsche nachts mit den Zähnen, Bauchkrämpfe und Magenprobleme stehen an der Tagesordnung. Ich bin wieder unruhig und kann nicht schlafen. Owei.

Ich brauche Pause. Aber weil ich so unruhig bin, habe ich Angst, Zeit zu verschwenden, und traue mich nicht, zu entspannen. Aber weil ich nicht entspanne, kann ich nicht konzentriert an meinen Texten arbeiten, und weil ich nicht konzentriert an meinen Texten arbeite, wird nichts fertig, also werde ich unruhig. Die Unruhe hämmert wie ein Specht hinter meinem Brustkorb. Pick, pick, pick. Brrr, brrr. Hilfe.

Apropos Specht: Der Versuch mit der Sauna ist zwar gescheitert, aber mir steht ja noch ein günstigeres Tool zur Entspannung zur Verfügung: ein Waldspaziergang. Tieren beim Krabbeln zusehen, auf Bäume klettern und schweigend durch den Auwald flanieren ist tatsächlich eine Sache, die mich runterbringt. Im Frühling gibt es dort auch Wildschweinbabys zu sehen.

Die Suche nach Entspannung? Regelrechter Stress!

Die ganze Sache hat aber einen Haken: Ich brauche 40 Minuten mit dem ÖPNV dahin. Und es gibt nichts, was stressiger ist als der öffentlichen Personennahverkehr. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Busse, Bahnen und Trams sind die absolute Reizhölle. Babys kreischen, betrunkene Fußballmänner grölen, es ist viel zu heiß, die busfahrende Person fährt mal wieder zu radikal um eine Ecke, man setzt sich auf einen Kaugummi. Mit dem Rückweg aus dem Auwald bin ich also wieder bei Punkt null angelangt und setze mich zu Hause erneut gestresst an den Schreibtisch.

wochentaz

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Die Suche nach der Entspannung entpuppt sich als regelrechter Stress. Egal wo, ich bleibe immer bei der Erschöpfung hängen. Aber vielleicht ist das auch gar nicht der falsche Ansatz – denn ich weiß, dass Sport zum Beispiel immer ein stresslösendes Mittel für mich ist.

Ich frage mich, ob mein Körper da irgendwie falsch verdrahtet ist – dass ich mich bei Höchstleistungen entspannter fühle als bei einem Eukalyptus-Aufguss. Wenn ich an die Sachsentherme zurückdenke, sind mir jedenfalls nicht die Sauna oder der Whirlpool im Gedächtnis geblieben – sondern die Rutschen. Als wir hinterher noch einmal zum Wasserbereich gegangen sind, konnte ich gar nicht aufhören, zu rutschen. Aber die innere Ruhe, die ich danach empfinde, ist nur kurzweilig, weil ich immer im Hinterkopf habe, mich wieder an den Schreibtisch setzen zu müssen.

Mit ein, zwei Stunden Pause ist es in ­Zeiten des dauerhaften Stresses nicht getan. Ich und wahrscheinlich auch ihr, wir bräuchten alle mal zwei Monate off. Zwei Monate ohne ­To-do-Listen oder Existenzangst, in denen unsere Köpfe endlich so leer werden wie das ­Dokument, das ich eigentlich fertig ­schreiben sollte.

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4 Kommentare

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  • Danke, der letzte Absatz bringt es auf den Punkt!

  • Die Suche nach der Entspannung entpuppt sich als regelrechter Stress. Egal wo, ich bleibe immer bei der Erschöpfung hängen.



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    Hi Jona, es gibt eine uralte Regel: "Du kannst hinlaufen, reisen, uvam, wohin Du willst. Wenn Du ankommst, bist DU (1) immer schon da!" Werkzeuge, gar weglaufen, ... das hat noch NIE funktioniert!



    "Tools zum Entspannen" gibt es fast immer aus der "Abteilung Chemie" & die helfen nur beim "Verdrängen & sind keine Lösung! :-(

    (1)Werkzeuge zu suchen, um zu "Entspannen", ähnelt "ein Medikament gegen "Schmerzen"Im 1. Moment hilfreich, auf Zeit musst Du die Dosis steigern, usw.!



    Ruhe findest DU nur IN DIR selbst, & wenn das alleine nicht klappt, mit Freunden*Innen, Familie usw.,



    Wer dort nicht weiterkommt, sollte vielleicht doch mal darüber nachdenken, ob ein "Gesprächskreis" mit fachlich-professioneller Leitung, gar Einzelgespräche, nicht besser weiter helfen kann!



    Denn "Unruhe" wird zwar oft als "von außen getriggert" wahrgenommen, aber DIE entsteht fühlbar, immer im KOPF!

    Ps. Doch die Grundprämisse bleibt: "Innere Ruhe, siehe oben, kann niemand kaufen"! Die muss d/W/m sich mühevoll erarbeiten! :-(

  • Da du hier die offenen Tabs in deinem Kopf ansprichst, also das Problem hast, dass dein Kopf nicht zur Ruhe kommt, hier zwei Tips von mir, die mir in solchen Situationen sehr geholfen haben und auch immer noch helfen: Meditation und progressive Muskelrelaxion, Sport sowieso, aber das hast du ja schon selber genannt. Dafür muss man theoretisch nicht mal das Haus verlassen :) es kann ein langer und stressiger Weg sein für sich selber herauszufinden, was einem am besten gegen Stress hilft, dieser Weg ist es aber definitiv wert ihn zu gehen, denn am Ende hast du eine effektive Methode mit deinem Stress umzugehen! Also bleib weiter am Ball ;)

  • Ein wunderbar treffender Text - gerade weil er zeigt, wie paradox das Streben nach Entspannung geworden ist. Oft können wir erleben, wie stark Stress das körperliche und seelische Gleichgewicht beeinflusst. Dass selbst Orte wie die Sauna nicht mehr selbstverständlich zur Ruhe führen, macht nachdenklich. Vielleicht brauchen wir weniger perfekte Routinen – und mehr echte Pausen, ohne Anspruch auf Effizienz.