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Über den Geist des GeschenksDer Weg des Bogenschützen

Mit der Geschenkekiste hat das Konzept „Ich bestelle mein Geschenk“ auch die Kinder erreicht. Dem Ethikrat fehlt die Zeit, sich darüber zu empören.

Der Ethikrat vervollkommnet sich selbst – und erlernt das Bogenschießen Foto: Anindito Mukherjee/dpa

K ürzlich traf ich eine Bekannte, die mir von den Geschenkekisten erzählte, die jetzt bei Kindergeburtstagen üblich seien. Man packt in einem Laden seiner Wahl Dinge in eine Kiste, die das Kind gern hätte, und dann können die Eltern der eingeladenen Kinder etwas daraus kaufen und schenken. Ich hatte noch nie davon gehört, doch es scheint, dass es ein gängiges Modell des zeitgenössischen Geschenkemanagements ist. Die Bekannte hatte selbst solch eine Kiste für ihren Sohn präpariert und erstaunlicherweise gelang es mir, nahezu nichts dazu zu sagen.

Ein paar Tage später kam eines meiner Kinder mit einer Einladung nach Hause, die auf eine Geschenkekiste verwies, und es gelang mir nicht, zu schweigen. „Ein Geschenk ist kein Bestellauftrag“, sagte ich. „Ein Geschenk zu bekommen, ist etwas, das sich der eigenen ­Kontrolle entzieht.“ Wenig später brach das Kind mit seinem Vater auf, um etwas aus der Geschenkekiste zu kaufen. Ich sah ihnen vom Balkon hinterher und als ich mich umdrehte, entdeckte ich auf der Wiese gegenüber den Ethikrat. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Handreichungen in Sachen praktischer Ethik geben.

Der Rat trug etwas Kimonorartiges und hatte riesige Bögen bei sich, der Vorsitzende trug zudem eine hölzerne Zielscheibe. „Sie beschreiten neue Wege“, rief ich. „Darf ich Ihnen zusehen?“ „Warum nicht“, rief der Vorsitzende und nickte wohlwollend. Als ich zur Wiese kam, stand der Vorsitzende vor den beiden Ratsmitgliedern, die in der Regel schwiegen. „Die Ferse Ihres rechten Fußes muss in der gedachten Verlängerung der großen Zehe Ihres linkes Fußes stehen“, sagte er. Die Ratsmitglieder betrachteten ihn sorgenvoll und brachten ihre Füße in eine Position, die wenig Linie erkennen ließ. „Sehen Sie hier“, sagte der Vorsitzende und schlug ein vergilbtes Buch mit der Tuschezeichnung eines martialisch wirkenden Schützen auf.

„Könnten wir nicht den Aspekt des Zielens vorziehen?“, schlug eines der Ratsmitglieder vor. „Nein“, sagte der Vorsitzende streng. „Das widerspricht dem Weg des Bogenschützen.“ Er reichte den Mitgliedern das vergilbte Buch. „Hiermit können Sie das ikken naka sumi nachvollziehen.“ Die Ratsmitglieder schwiegen verstockt.

Eine Perversion der Idee des Schenkens

„Jetzt zu Ihnen“, sagte der Ratsvorsitzende. „Haben Sie ein philosophisches Anliegen, das Sie uns vorlegen möchten?“ „Nun“, sagte ich, wie immer beschämt von der Banalität meiner Fragen. „Ich reibe mich am gegenwärtigen Konzept des Schenkens, das nun auch die Kinder erreicht hat. Bislang war es, dass man bei Hochzeiten eine Liste bekam, was man schenken sollte, nun ist es auch bei Kindergeburtstagen so.

„Tatsächlich“, murmelte der Vorsitzende und betrachte die beiden Ratsmitglieder, die das Buch beiseite gelegt und die riesigen Bögen ergriffen hatten. „Mir scheint es eine Perversion der Idee vom Schenken und zugleich symptomatisch für den Wunsch, alles zu kontrollieren“, sagte ich. „Auch das Beschenktwerden muss effizient sein, was für eine Gelegenheit, die Ausgaben für das Fest reinzuholen, indem man die Dinge, die man eh kaufen will, bei den Gästen bestellt.“ „So kann man es sehen“, sagte der Vorsitzende, aber er schien abgelenkt, denn ein Ratsmitglied hatte einen Pfeil aufgelegt und schien nun nach einem passenden Ziel zu suchen.

„Ich finde dieses Prinzip schon bei den Hochzeiten dämlich“, sagte ich, „aber dass es jetzt auch bei den Kindern ankommt, scheint mir fatal. Als nächstes wünschen Sie sich Aktien.“ „Das scheint mir ein unwahrscheinliches Szenario“, sagte der Vorsitzende. „Und berücksichtigen Sie, dass die Kiste nur ein Vorschlag, nicht aber ein Zwang ist?“

„Was man so Vorschlag nennt“, murmelte ich, aber der Vorsitzende hörte mir nicht mehr zu. Ein Pfeil hatte sich leise schwirrend in den Boden gesenkt, wenige Handbreit vor seinen Füßen. „Der erste Pfeil verneigt sich vor dem Meister“, sagte er zufrieden, doch sein Schüler hatte sich hinter einem Busch verborgen.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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