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Über Ungerechtigkeit Von Martin Sonneborn

Einmal abends, es muß Mitte der 90er gewesen sein, hatten Herr Krähe und ich auf der Suche nach ein bißchen Unterhaltung ungezählte Berliner Gasthäuser gefunden, das ein oder andere Kicker- Spielchen riskiert und nebenher Beachtliches weggetrunken. Gegen vier machten wir uns auf den Heimweg, und zwar sturzvergnügt: Wir waren jung, es war Frühling, die Nacht gehörte uns! Sonst allerdings nicht viel, zum Beispiel hatten wir nur ein einziges Fahrrad, welches zudem offenbar aus einer Zeit stammte, in der man der Elektrisierung noch kein uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte. Was soll's, unsere Augen waren scharf, unsere Reflexe legendär, unser Bedürfnis, nach Hause zu gelangen, ausgeprägt!

Die Zivilstreife, die unseren Weg kreuzte, konnte das nicht wissen und konfrontierte uns mit einem Gummiparagraphen, der zufällig genau dieses unter Geldstrafe stellt: daß zwei Personen volltrunken und in Schlangenlinien auf einem Klapprad ohne Beleuchtung, die Internationale singend, über eine Kreuzung brettern, welche nur von einer roten Ampel erhellt wird. Weder Herr Krähe noch ich wissen bis heute, wie wir die zwei Beamten von der Erbärmlichkeit ihres Denkansatzes überzeugten; aber nach 20 Minuten Diskussion ließ man uns ziehen – mit dem Versprechen, das Rad zu schieben. Das taten wir auch eine Zeitlang, und als wir wieder aufstiegen, hatten wir sogar eine Spur von schlechtem Gewissen. Für manch anderen dagegen sind ungewollte nächtliche Begegnungen mit der Polizei eher die Ausnahme!

Das können zum Beispiel die Damen Didra und H. (Name abgekürzt) bezeugen, die im Filmgeschäft zu Hause sind wie kaum jemand und deshalb neulich einen erfolgreichen Drehtag bis zum nächsten Morgen um fünf begießen mußten. Es wird niemanden verwundern, daß sie danach beschlossen, sich zwei Taxen zu rufen. Leider jedoch hatte die Dame H. sämtliche Barmittel vertrunken, und da die Bedienung eines Geldautomaten nicht mehr im Bereich des Machbaren lag, nahm sie ihr eigenes Auto. Sie kam auch gut voran, über die Kreuzung Alexanderplatz nämlich und mit Schwung sogar in die Seite eines abbiegenden Audi. Aussteigen und „Alles – ups! – meine Schuld!“ stammeln war eins. Die Verwunderung darüber, daß überhaupt keine Reaktion erfolgte, ein anderes. Als H. die eingedellte Fahrertür öffnete, sah sie in die teilnahmslosen, ja riesigen Pupillen von vier grinsenden Spaniern, die sich offensichtlich an hochwirksamen Drogen gelabt hatten; zumindest brachte einer von ihnen noch ein höfliches „Hola!“ über die Lippen.

Dieser außergewöhnliche Moment wurde von einem Taxifahrer harsch gestört: „Ich hab' alles gesehen! Ich hol' die Bullen!“ Und da niemand in der Lage war, einen nüchternen Protest zu formulieren, rief der Mann über Funk die Polizei. Erst als nach einer halben Stunde keinerlei nennenswerte Entwicklung stattgefunden hatte, fuhr er weiter. Etwas später schlossen dann auch die Spanier gelangweilt ihre Wagentür und gaben Gas. Derart allein gelassen, bedachte die Dame H. noch einmal alles genau, fand wenig Grund zu verweilen und fuhr nach Hause.

Herr Krähe und ich hätten wahrscheinlich wieder 20 Minuten diskutieren dürfen und dann schieben müssen!

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