■ Über Irmgard Möller breitet sich wieder Schweigen aus: Nichts als alte Reflexe
Als in diesen Tagen Carlos im Sudan verhaftet und nach Paris ausgeflogen wurde, fanden die alten Bekannten aus der um die RAF gewachsenen Branche der Terrorismusexperten nur mitleidige Worte: alt gewordener Alkoholiker, Auslaufmodell usw.
Wenn es um die RAF geht, von der man im Gegensatz zu Carlos immerhin deutlich genug vernommen hatte, daß der bewaffnete Kampf für sie der Geschichte angehört, funktionieren die alten Reflexe, die sich in den langen Jahren des Krieges gegen die RAF gebildet hatten, noch bestens. So lautete zum Beispiel die Schlagzeile am 28. Juli 1994 über einem Artikel auf Seite 1 der Frankfurter Rundschau: „RAF- Häftlinge wollen mit Hungerstreik Irmgard Möller freipressen.“ Mit denselben Worten war die Nachricht vom Hungerstreik am Abend davor in allen Fernseh- und Rundfunknachrichten der Nation mitgeteilt worden.
Was war geschehen: Zwölf Gefangene, die sich in einer öffentlich geführten Auseinandersetzung von der RAF getrennt hatten – und die gleichwohl immer noch als „harter Kern“ oder „Hardliner“ durch die Medien geistern –, wollten durch einen auf eine Woche befristeten Hungerstreik auf den Skandal aufmerksam machen, daß Irmgard Möller seit Juli 1972 inhaftiert ist und – wie es aussieht – auch im 23. Haftjahr keine Chance auf Entlassung hat. In einer intakten demokratischen Medienlandschaft hätten mindestens zwei oder drei Redaktionen beschlossen, gründlich zu recherchieren, wieso das möglich ist, wieso Irmgard Möller in einem Land 22 Jahre und länger inhaftiert sein kann, dessen Justizminister immerhin vor zwei Jahren von Versöhnung sprach. Zumindest von den Redaktionen in Funk und Fernsehen und den Printmedien, die sich in der Vergangenheit immer wieder für die Strafvollzugsreform und gegen Law and order ausgesprochen haben, wäre das zu erwarten gewesen. Statt dessen wie aus einem Rohr: „RAF- Häftlinge wollen mit Hungerstreik Irmgard Möller freipressen.“
Am 9. August hat Ralph Giordano in einem Kommentar in der taz auf den Skandal der überlangen Inhaftierung von Irmgard Möller hingewiesen. Überschrieben war der Text mit den Worten „Fragen und Gedenken zu einem Fall offener Rachejustiz: Verhelfen Sie Irmgard Möller zur Freiheit, Frau Justizministerin“. Engagiert wie immer liest Ralph Giordano einer Justiz die Leviten, die immer einen Weg fand, wenn es darum ging, NS-Täter davonkommen zu lassen. Sein Plädoyer für die endliche Freilassung von Irmgard Möller fand keinerlei Echo in dieser Medienwelt, die sich offensichtlich mit den Juristen einig weiß, die Irmgard Möllers Entlassung verhindern. Irmgard Möller wird ihre Weigerung, sich psychiatrisch begutachten zu lassen, vorgeworfen. Die zuständigen Juristen machen daraus eine Bedingung, ohne die nichts läuft – nach dem Motto „Wer behauptet, zukünftig ein Leben ohne Straftaten führen zu wollen, ist nicht glaubwürdig, wenn er nicht mal bereit ist, sich wie alle anderen Lebenslänglichen auch psychiatrisch begutachten zu lassen“.
Einer Justiz, deren Rechtsprechung allzuoft aus rechten Sprüchen besteht, fällt nicht ein, einer Gefangenen diesen Begriff von Würde zuzugestehen, der es ihr verbietet, sich dem psychiatrischen Blick auszusetzen. In einer Welt, in der Gespräche nur noch als Verkaufsgespräche stattfinden, wirkt extrem gefährlich, wer auch nach 22 Jahren nicht bereit dazu ist, die Freiheit über ein Gespräch mit einem Psychiater zu erreichen.
Keinerlei psychiatrische Gutachten waren erforderlich, wo ehemalige RAF-Mitglieder bereit waren, mit der Justiz zusammenzuarbeiten – sie wurden dank der Kronzeugenregelung nicht mal zu der bei Mord vorgeschriebenen lebenslänglichen Strafe verurteilt. Klaus Jünschke
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