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Point 'n' clickÜber Hyperlink nach Oz

■ „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ von der Leipziger Künstlergruppe Die Veteranen

Die Welt ist eine Scheibe. Sie glänzt silbrig, hat einen Durchmesser von zwölf Zentimetern, ist auf Macintosh und PC abspielbar und heißt CD-ROM. Weil sie Bilder, Musik, Texte speichern können, ist den CD-ROM-Produktionen ein Hang zum Gesamtkunstwerk eigen. Es war darum nur eine Frage der Zeit, bis die bildenden Künste das neue Medium für sich entdecken würden: „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ von der Leipziger Küstlergruppe Die Veteranen ist die erste CD-ROM in Deutschland, die von Künstlern geschaffen wurde. Sie verbindet experimentelle Videos, „interaktive Gemälde“, Computersimulationen durch ein Netz von Verbindungen und „Wegen“ und schafft so einen eigenen Mikrokosmos mit eigenen Regeln und eigenen Codes.

Zu Beginn sehen wir die vier Veteranen an einem Tisch sitzen. Wer einen von ihnen anklickt, gerät auf einen Weg, den der Künstler für ihn angelegt hat – „eine elektronische Tagträumerei, die die ganze Welt bedeuten könnte“, wie es auf der Box heißt. Doch wo liegt diese Welt? Auf der CD-ROM? Im Arbeitsspeicher des Computers?

Wahrscheinlich haben die CD- ROMs von den Konsolenspielern ihre Räumlichkeit übernommen: Wenn sich in den Aktions- und Abenteuer-Games von Nintendo und Sega die Helden mühsam durch ein „Level“ nach dem anderen rackern, können Teile des Raums plötzlich zu entscheidenden Elementen im Kampf werden. So zeigt das Nintendo- Spielszenario eine kleine Welt aus dem Prozessor; innerhalb der „Stadtmauern“ kann der User herumstreifen, und über ein „Hyperlink“ an einen ganz anderen Ort gelangen – so wie Dorothy im „Zauberer von Oz“, wenn sie ihre roten Schuhe zusammenschlägt.

Der Produzent des Kunstwerks hat an dessen Konsumenten einen Teil seiner Autorität abgetreten. Der User wird zum Mitgestalter seiner ästhetischen Erfahrung. Da die Ordnug der CD-ROM nichtlinear ist, sieht natürlich auch das Skript einer CD-ROM-Produktion anders aus als ein normales Drehbuch: Wer sich das Cover von „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ genau ansieht, erkennt auf dem grau-braun getönten Foto im Hintergrund den „Ablaufplan“ der Produktion: ein chaotisch wirkendes Diagramm, auf dem Pfeile und Verbindungslinien kleine Bilder und Computer- Ausdruck miteinander verbinden. Nach dieser Skizze an der Wand in einem Keller der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst haben Die Veteranen in 18 Monaten ihre Multimedia- Produktion programmiert und montiert. Wie disparat die Räume sind, die Die Veteranen da aufeinandertreffen lassen, zeigt sich schon an der Vielfalt der bildnerischen Mittel, mit denen die „Screens“ gestaltet wurden: So beginnt ein „Rundgang“ durch „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ in einem aquarellierten Café, in dem ein angeklicktes Zettelchen auf einem Tisch den Weg weist. Weiter geht es durch eine Fußgänger-Passage aus verfremdetem Video-Material zu einem Kino, das wahrscheinlich mit der Paintbox gestaltet wurde und in dem man kurze experimentelle Videos zu sehen bekommt.

Mit Sinn für Humor hat man sich einiger klassischer Sujets der bildenden Kunst angenommen. In einer interaktiven Galerie kann der Betrachter die Bilder in Bewegung setzen und neu gestalten. Bei einem „Stilleben“ kann man jedes einzelne Objekt auf einer Tischplatte mit der Maus zum Leben erwecken: Eine Schachfigur dreht den Kopf, der Rotwein im Glas verfärbt sich grau, aus einer Kaffeetasse steigt mit lautem Blubb eine blaue Seifenblase, und die Zeiger der Uhr drehen eine Ehrenrunde, wenn man sie anklickt. Andere Bilder (wenn man die vom Künstler nur vorbereiteten Freiräume so nennen will) kann der User selbst mitgestalten: Man kann langsam vor sich hin schleichende Bildstrukturen einfrieren oder einen im Zickzack über den Bildschirm fliegenden Balken zu vasarelyartigen Mustern arretieren. Wie von einem Virus befallen, zerlegen sich einige der Bilder fortwährend selbst, der Betrachter kann neue zerfallende Bildelemente hinzufügen. Veteranen-Mitglied Tjark Ihmels beschreibt es so: „Wir stellen immaterielle Bilder bereit zur weiteren immateriellen Manipulierung durch den Benutzer, und dieses Medium lädt mit seinen Möglichkeiten dazu ein. Das ist nur mit diesem Medium so möglich, und wir wollen genau das.“

Doch mediale Fortschrittlichkeit bedeutet nicht unbedingt, daß man auch zu neuen Präsentationsformen gefunden hat: Bei der Leipziger „Mediale“ zeigte man „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ auf einem einzigen Computer, der als auratisches Objekt in der Innenhalle des Leipziger Museums für bildende Künste stand – und nicht in einer Spielhalle. Tilman Baumgärtel

Die Veteranen: „So nutzlos wie eine Fuge von Bach“, Rowohlt Systhema, 98 Mark, für Mac und PC. Homepage der Veteranen im Internet: http:/ www.ui-leipzig . de/ veteranen.

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