Über Ball und die Welt: Rund und nicht "und"
Kolumne
von Martin Krauss
Wenn es wenigstens Bindestriche gäbe. Aber nein, immer kommt das „und“ um die Ecke: Fußball und Politik, Fußball und Gewalt, Fußball und Kultur, Fußball und Gesellschaft oder ganz aktuell: Fußball und Literatur. Immer wird so getan, als müssten hier zwei strikt voneinander getrennte Sphären erstmals einander zugeführt werden. So wie Schalke und Dortmund. Oder Frauenfußball und Einschaltquote. Sachen also, die zwar miteinander nichts zu tun haben, von denen man aber sehr wohl eine Schnittmenge bilden kann.
Bei der Leipziger Buchmesse ist wieder viel „Fußball und“ zu erleben. Im dort aufgebauten „Kulturstadion“ lädt die DFB-Kulturstiftung zu allerlei interessanten Veranstaltungen, die sich an „Freunde von Kunst, Kultur und Fußball“ richten. Nun könnte man schon sehr unergiebig über den vermeintlichen Unterschied von Kunst und Kultur nachdenken, aber der Fußball scheint da ja was etwas besonders Fremdes zu sein.
„Feindliche Brüder“ seien Sport und Literatur, so hatte es Marcel Reich-Ranicki einmal formuliert, und obwohl es keinen näheren Hinweis darauf gibt, dass der Kritiker irgendetwas von Fußball verstanden hätte (anders als etwa Albert Camus oder Max Frisch), lieferte er auch eine Begründung mit: „Beide appellieren auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Mitteln an dieselben Gefühle.“ Als da wären: Heldentum, Leidenschaft, Solidarität, Ruhmsucht. Im Sport allerdings, so Reich-Ranicki, seien „sie ungleich einfacher, oberflächlicher, direkter“. Als ob der Hinweis aufs Einfache, Oberflächliche nicht genügen würde, schob er noch nach: „Was die Literatur dem Leser bietet, kann man auch im Stadion finden, ohne Verschlüsselung, ohne Intellekt, ganz und gar unkompliziert.“
Das naserümpfende Elitärgetue, das durch die Worte des Großkritikers schimmerte, ist verbreitet. Geht es nicht um „Fußball und“ irgendwas, dann ist es „nur Sport“, „nur Fußball“, nix Wichtiges. Auch wenn es paradox klingt, in dieser Lesart ist der Fußball etwas sehr Relevantes und etwas sehr Irrelevantes zugleich: Weil er nämlich von denen, die sich für geistige Eliten halten, teilweise verachtet wird, glauben diese, sie könnten ihn instrumentalisieren. Mit dem Sport wollen sie Flüchtlinge integrieren, Gesundheit fördern, Geschlechterklischees überwinden, solidarisches Verhalten lehren, Demokratie verbreiten, Nazis vertreiben, den Frieden schaffen, die Kulturen verbinden und überhaupt die besseren Menschen schaffen.
Warum der Sport das alles können soll? Weil die, die es fordern, nichts von ihm wissen. Weil sie in großer Ahnungslosigkeit der Überzeugung sind, dass es bei so einem Hinter-dem-Ball-Hergerenne um nichts gehe. Weil sie deswegen irgendeinen Sinn in den Sport hineininterpretieren. Weil sie ihm ein Und geben.
Das müsste nicht sein. Dass es so ist, hat gesellschaftliche Gründe. Es gibt ja gute literarische Annäherungen an das Phänomen Fußball und Literatur. Etwa bei Ödon von Horvath, bei Joseph Roth, Robert Musil, Ror Wolf. Nur der Betrieb hat sie nie so richtig zur Kenntnis genommen. Genau das ist das Phänomen, um das es hier geht: nicht dass es eine Unfähigkeit gibt, sich dem Sport künstlerisch zu widmen, sondern eine Ignoranz, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Der geschriebene Ausdruck dieser Ignoranz ist das Wort „und“; es lässt sich überall reinquetschen, ohne dass es irgendwas besagen muss. Der Sport wird so nicht als ein kulturelles Phänomen begriffen, nicht als gesellschaftliches Produkt, sondern als irgendetwas, das manchmal die Hochkultur streift, manchmal von der Politik beachtet wird.
Dabei ist die Kultur doch nur Kultur. Der Fußball ist jedoch mehr als Fußball. Er ist rund und nicht und.
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