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Archiv-Artikel

ÜBER ÖKOLOGIE ALS KONJUNKTURELLES UND MEDIALES MASSENPHÄNOMEN Schwimmende Salatbeete im Henry-Moore-Teich

„Wie kommen wir aber nun vom Wissen zum Handeln?“

VON HELMUT HÖGE

Das sonst eher leere Haus der Kulturen der Welt war mit allerlei Geräten, An- und Einbauten und vor allem interessierten Zuschauern gerammelt voll. Es ging um „nachhaltige Lebenskunst“ von vorne bis hinten. Für 2,3 Millionen Euro von der Bundeskulturstiftung zeigten Künstler aus aller Herren Länder, was in ihnen steckt in punkto Klimaerwärmung, Biodiversität, Ökoanbau und Resterecycling.

Es handelte sich dabei um strengsten Reduktionismus, aber, anders als in den verhärmten Landkommunen früherer Jahrhunderte, einen hedonistischen – mit Hightech und Technomusik. „Streng“, das hieß: im Sinne des Gestalterischen. Es musste schon gut aussehen, das „gute Leben“ – um das es explizit in der Expertenkonferenz am Samstagabend ging. Die schlugen sich erst einmal „Glücks“-Definitionen um die Ohren. Dabei führten sie vor, wie man als Projektemacher, Politiker oder Professor und quasi persönlich in der Ökologiebewegung engagiert, ein gutes Leben führen und dabei auch noch glücklich sein kann. Jedenfalls taten sie so.

Abgesehen davon ist die sogenannte Ökologiebewegung genau genommen ein „nonmovement“, wie der in Leiden lehrende Soziologe Asef Bayat das nicht nur im Hinblick auf die sozialen Veränderungen im Nahen Osten nennt. Die „Ökologie“ ist ein konjunkturelles und mediales Massenphänomen. Ihre Sprecher – wie der Wissenssoziologe Bruno Latour – versichern: Es geht nicht mehr um Ökonomie, sondern nur noch um Ökologie. Und ihre Gegner – auf der „Achse des Guten“ z. B. – verbinden ihre Ablehnung der Windkraft lückenlos mit z. B. Antiislamismus. Verrückt! Eine Spanne von Fundamentalismus bis Lifestyle.

Auf der anderen Seite verriet einer der „Glücks“-Experten auf der Konferenz über das gute Leben: „Es geht uns darum, ein unmittelbareres Verhältnis zur Welt zu bekommen.“ Und das stehe quer zur rapide fortschreitenden „Entwirklichung unserer Lebenswelt“. Der Philosoph Vilem Flusser, der sich beizeiten an die Spitze dieses „Abstraktifizierungsprozesses“, dieser „Erfahrungsverarmung“ setzte, da sich kaum noch „echter körperlicher Austausch“ ereigne, wollte uns bereits mit diesem elenden Schicksal versöhnen, indem er das Heil in der Antiökologie sah: „Das Zeitalter der wahren Kunst beginnt mit der Gentechnik, erst mit ihr sind selbstreproduktive Werke möglich“, behauptete er kühn. Dabei würde die Kultur die Natur quasi schlucken. Das Großprojekt „Über Lebenskunst“ war selbstverständlich genkritisch eingestellt. Am schönsten sahen in diesem Zusammenhang die von einer Künstlerin auf dem Henry-Moore-Teich liebevoll angelegten schwimmenden Salatbeete aus.

Am Samstag wurde die „wahre Kunst“ dann auch eher in der (Wieder-)Herstellung des (ländlichen) Gemeineigentums gesehen – genauer gesagt: der „Commons“ (ein US-Modewort, spätestens seit die Allmendeforscherin Eleonore Ostrom dafür 2010 den Wirtschaftsnobelpreis bekam). Kurzum: Der „Globalisierungskritiker“ ist der kommende Mann bzw. die kommende Frau – und das schier global. „Wie kommen wir aber nun vom Wissen zum Handeln?“ Das war auch so eine Frage auf dem „Festival“ der Öko-Projektemacher. Aus São Paulo kam der Hinweis auf das ökologisch vorbildliche Leben der Indigenen, verbunden mit einem Filmbeitrag über eine in „Echtzeit“ in der Stadt stattfindende Indigenen-Demo gegen ein großes Staudammprojekt.

Durch Berlin zog zur selben Zeit die Fuck-Parade – mit lautem Techno-Gedröhne. Die hinter den Boxen Hertanzenden kamen der Bundeskulturstiftungs-Antwort auf die berühmte Leninsche Frage „Was tun? Wie handeln?“ aber schon nahe: „künstlerisch und kreativ!“ Und „nachhaltig“ natürlich. Also weder wurde „das Leben“ diskutiert (die Biologen z. B. beschäftigen sich damit gar nicht mehr – nur noch mit den „Algorithmen des Lebendigen“), noch wurde der Begriff „Gesellschaft“ problematisiert: Kann man ihn einfach ungeklärt voraussetzen? Gibt es „die Gesellschaft“ überhaupt noch? Sind wir nicht nur ein Haufen Sandkörner, wie Mao Tse-tung schwante? Und das vor allem durch die unermüdliche Tätigkeit der Kreativen und Künstler – diesen Ausgeburten des Individualismus seit der schrecklichen Renaissance?