: US–Senat in Eile
■ Bis zum Wochenende soll das Abkommen über die Mittelstreckenwaffen ratifiziert werden / Reagan steht sonst mit leeren Händen auf dem Roten Platz
Aus Washington Stefan Schaaf
Senatoren aus beiden Parteien haben am Dienstag abend in Washington den Schluß der Debatte über die Ratifizierung des INF– Abkommens gefordert, das im Dezember 1987 unterzeichnet worden war. Der Antrag ist eine parlamentarische Notbremse, die sicherstellen soll, daß US–Präsident Reagan am Sonntag nicht mit leeren Händen in Moskau ankommt. Wegen der verzwickten Geschäftsordnung des US–Senats wird es dennoch nicht vor Freitag zu einem abschließenden Votum über den Vertrag kommen, der vom Senat mit einer Zweidrittel– Mehrheit gutgeheißen werden muß. Man rechnet damit, daß etwa 90 der 100 Senatoren das Abkommen billigen werden. Eine kleine Gruppe ultrakonservativer republikanischer Senatoren hat die Debatte seit Tagen durch immer neue Zusatzanträge hinausgezögert, doch wurde keines dieser „Amendments“ bisher angenommen. Reagan hofft, daß ihm sein Stabschef Howard Baker den bewilligten Vertrag nach Helsinki bringen wird, wo der US–Präsident einen mehrtägigen Zwischenstopp einlegt. Reagan ist erst der zweite amerikanische Präsident, der der sowjetischen Hauptstadt eine Visite abstattet. Vor ihm war nur Richard Nixon in Moskau, der dort 1972 die Weichen für das ABM–Abkommen stellte. Dieser Vertrag verbietet landesweite Abwehreinrichtungen gegen die strategische Nuklearstreitmacht des Gegners und ist deswegen zum größten Hindernis für einen zweiten abrüstungspolitischen Erfolg Reagans geworden: Die sowjetische Regierung besteht darauf, daß der ABM–Vertrag umfangreiche Tests des Reaganschen „Star Wars“–Programms verbietet, und sie weigert sich, einer Halbierung der nuklearen Interkontinentalraketen zuzustimmen, bis das SDI– Gespenst vom Tisch ist. Ein US– Beamter meinte im Vorfeld des Gipfels, daß in Moskau kaum Fortschritte auf diesem Gebiet zu erwarten seien. Mit einem noch nicht ratifizierten INF–Abkommen und einem festgefahrenen START–Vertrag auf der Tagesordnung hat Reagan nicht viele Verhandlungsthemen mit Substanz. Seitdem der sowjetische Rückzug aus Afghanistan begonnen hat, ist auch die Liste der „regionalen Konflikte“ geschrumpft. Neue Aufmerksamkeit wird allenfalls dem südlichen Afrika zukommen, nachdem das Apartheid–Regime jüngst mehr Bereitschaft zu einer Lösung der Namibia–Frage gezeigt hat. Doch dem in acht Monaten abtretenden Präsidenten lag Symbolik schon immer näher als Substanz. Moskau gibt eine hervorragende Bühne für ein Spektakel ab, mit dem Reagan an seinem Image für die Nachwelt weiterbasteln kann. Dreimal wird Reagan sich in die sowjetische Öffentlichkeit hinausbegeben: um das Daniloff– Kloster am Stadtrand von Moskau zu besichtigen, um eine Rede an der Moskauer Universität zu halten und um mit einer Gruppe von Künstlern und Schriftstellern zu Mittag zu essen. Eine Gruppe sowjetischer Dissidenten wurde außerdem zu einem Treffen mit Präsident Reagan in die US–Botschaft geladen.
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