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US–Grüne zwischen Spiritualismus und Revolution

■ Amerikas Grüne versammelten sich in Amherst/Massachusetts / Zwei Bewegungen und keine Bundespartei / Stargast der amerikanischen Fundis war Jutta Ditfurth / Annäherung bei den Bewegungen läßt auf eine radikale Alternative in der Post–Reagan–Ära hoffen

Aus Amherst Phil Hill

Immerhin 1.500 Grün–Gesinnte trafen sich in der vergangenen Woche in der kleinen Universitätsstadt Amherst am Connecticut River. Es war die bisher größte Zusammenkunft der über die ganzen Vereinigten Staaten versprenkelten grünen US–amerikanischen Ortsgruppen. Zudem waren erstmalig beide Haupttendenzen, „Spiritualisten“ und „Sozialökologen“ zugegen und gesprächsbereit. Allen Gruppen fehlt bisher der gemeinsame organisatorische Rahmen, an eine nationale grüne Partei ist nicht zu denken. Und dennoch entstand in Amherst die Hoffnung, Teil einer gemeinsamen Bewegung zu sein, die eine radikale Alternative im Nach–Reagan–Zeitalter zulassen könnte. Selbsternannte Wortführerin der sogenannten „Deep Ecologists“ - der „Spiritualisten“ mit Hochburg in Kalifornien - war Charlene Spretnak, Autorin des US–amerikanischen Schlüsselwerkes über die westdeutschen Grünen (dt. Ausgabe: „Die Grünen“, Goldmann–Verlag). Düster hatte sie am zweiten Konferenztag das Bild einer grünen Gesellschaft ohne „spirituelle Dimension“ gemalt. Trotz Abschaffung von Umweltverschmutzung, Frauenunterdrückung und entfremdeter Arbeit - die Beschreibung dieser herbeigeredeten Utopie dauerte eine gute Viertelstunde - würde es dennoch Drogenabhängigkeit und Selbstmord geben, würde es von glücklosen Menschen nur so wimmeln, wenn nicht auch für deren geistliche Seite gesorgt würde. Gegenpart der wolkenschwebenden Kalifornierin waren die „Sozialökologen“, Linke aus dem knallhart–nüchternen Neuengland. Die Konferenz war ihre Angelegenheit, mitgetragen vom „Institute for Social Ecology“ des Alt–Anarchisten Murray Bookchin, der über eine Vielzahl von Veröffentlichungen und eine in der proletarischen Kampfzeit der dreißiger Jahre geschmiedete rhetorische Kunst zum geistigen Leiter geworden ist. In den Augen Charlene Spretnaks handelt es sich beim Neuengländer Institut um einen Kaderverein, der versucht, die US–Grünen genauso mit gemeinen Unterwandertaktiken zu verunstalten wie es in der Bundesrepublik ihrer Ansicht nach die Hamburger Z–Gruppe verbrochen hat. Auch Bookchin stellte von Anfang an die Fronten klar. Nicht nur verlangte er, eine stabile soziale Basis für eine ökologische Zukunft zu schaffen; die Nabelschauideologie der Gegner könne auch finstere Folgen haben. So zitierte er Mitglieder der zur gleichen Zeit im Grand Canyon tagenden „Deep Ecology“–Gruppe „Earth First!“, die AIDS und afrikanischen Hunger als Selbstreinigungsvorgang der Natur betrachten, und ließ diese allgemein als faschistoid empfundene Position als den logischen Schluß der spirituell gesinnten Idee gelten. Ganz so einfach war es aber nicht. Bei vielen Kaliforniern und auch bei den Ökofeministinnen gab es eine Tendenz zur Verehrung der Mutter Erde, wobei Berührungspunkte zum marxistischen Materialismus durchaus eher auszumachen waren als Ähnlichkeiten zum Geisterreich der Spretnak–Fans. Solche Leute wirkten integrierend, als es schließlich am Rande der Konferenz zum erregten Wortgefecht kam. Bookchin bot ein Vergessen der persönlichen Feindseligkeiten an, und die Spiritualistin mußte, auf Druck ihrer Landsleute, widerwillig zusagen. „Und jetzt müßt ihr euch vor dem Plenum umarmen“, hieß es dann von den Vermittlern. Und so geschah es dann auch - aber nicht ohne eine letzte Bookchin–Beschwörung: „Ich bleibe Revolutionär!“ Chefplaner der Zusammenkunft war Howie Hawkins, wie Bookchin aus Vermont, und ebenfalls von der Idee geleitet, die aufkeimende Bewegung deutlich auf die Seite der sozialen Opposition in den USA zu stellen, sie nicht im Abseits des Mystizismus verkommen zu lassen. Auf der Rednerliste der Plena standen demzufolge Vertreter von alternativen Wahlbewegungen, vom linken Flügel von Jesse Jacksons Regenbogen– Koalition, von radikalen Volkswirten - von den Spiritualos aber nur mit Ach und Krach Spretnak selbst. Schwarze wie Gwen Patton aus Alabama, die die „New South Coalition“ vertrat, und der Bostoner Bürgermeisterkandidat Mel King gaben mit ihrem Auftritt kund, daß sie die Grünen als Teil der Oppositionsbewegung ernstnahmen. Andererseits war aber die Gegenüberstellung von schwarzen Promis auf dem Podium und ausschließlich weißem Publikum ein für alle unverkennbares Zeichen, daß auch von grüner Seite ein Aufeinanderzukommen geboten war. Deutlich ist eine solche Annäherung etwa schon in New York zu erkennen, wo die linke Haitianerin Yanique Joseph versucht, eine nach einem Fraktionskrieg zerfallene grüne Ortsgruppe wiederaufzubauen. Auch in New Haven (Connecticut) im südlichen Neuengland, wo eine grüne Wahlbewegung mit mehr als zehn Prozent der Stimmen abschnitt, wechselte nach der Wahl ein für die Demokratische Partei gewählter Schwarzer im Stadtrat zur alternativen Partei; jetzt bei der Wiederwahl kandidieren die meisten Schwarzen, die bislang als Demokraten im Rathaus saßen, auf der Grünen–Liste. Unter anderem aus dieser Ecke kam auch in Amherst das Häufchen der Befürworter einer Strategie der „Unterwanderung“ der Demokratischen Partei. Wenns darauf ankam, war von ihnen öfter der Satz „Ich bin wohl ein amerikanischer Realo“ zu hören. Star der Veranstaltung war dennoch die von den „amerikanischen Fundis“ - d. h. den Neuengländer „Sozialökologen“ - eingeladene Jutta Ditfurth, die zu einer Veranstaltung 125 Teilnehmer locken konnte: das war das Vier– oder Fünffache des Durchschnitts. „Ich habe nichts dagegen, wenn Leute meditieren wollen“, meinte Ditfurth. „Aber die Grünen sind eine politische Bewegung und keine Religion.“ Beim Beschwören des Vorrangs der Bewegungen vor dem Parlament rannte sie in Amherst zwar offene Türen ein, aber wohl größtenteils deswegen, weil noch keinem US–Grünen ein Ministerposten in Aussicht steht. Internationale Gäste kamen, neben den Deutschen, vor allem aus Lateinamerika, an ihrer Spitze der brasilianische Altguerillero Alfredo Syrkis. Ansonsten waren noch Vertreter der Ontario–Grünen aus Kanada, Janusz Minkiewicz von der polnischen Gruppe „Frieden und Freiheit“ sowie Mitglieder einer japanischen Splitterbewegung von Tierschützer–Grünen, die sich zur Ideologie des „Zehntausend–Arten–Gemeinwesens“ bekennen. Der Versuch, eine gemeinsame Erklärung der ausländischen VertreterInnen auszuarbeiten, scheiterte an sprachlichen Komplikationen und der Unwilligkeit der deutschen Grünen, das von lateinamerikanischen Parteien erstellte Dokument mitzutragen. Beschlüsse gab es bei der Konferenz nicht. Das Ergebnis war vielmehr ein Konkretes. Howie Hawkins meint, die Grundlage sei ausgebaut, um weitere Verknüpfungen zwischen ökologistischen und traditionell sozial–begründeten politischen Bewegungen in die Wege zu leiten. Auch hofft er auf eine baldige Umstrukturierung der Ortsgruppen, um auch auf Bundesebene eine tatkräftige grüne Präsenz zu gewährleisten. Andere sahen die Ergebnisse bescheidener. Gretchen Dutschke etwa, die bei den Bostoner Grünen mitwirkt, meinte, die Konferenz habe für auf Ortsebene aktive Grüne zwar einiges an Aufklärung, Kontakten und Perspektiven gebracht, für Politik auf Bundesebene sehe sie allerdings mittelfristig wenig Aussicht.

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