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US-Schwenk in der Irak-Politik

■ Wahlkämpfer Clinton markiert zwar den Macho gegenüber Saddam Hussein. Aber die Regierung in Washington ist dabei, den komplizierten Nordirak aufzugeben und konzentriert sich auf den Süden

Berlin (taz) – Der Sprecher des US-Außenministeriums Nicholas Burns ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Die USA haben sehr klare Interessen im Irak, und diese Interessen bestehen darin, Saddam Hussein an künftigen Aggressionen gegen seine Nachbarländer zu hindern, vor allem Saudi- Arabien und Kuwait“, sagte Burns am Dienstag in Washington. Die Kurdenregion im Nordirak sei hingegen von minimaler strategischer Bedeutung, sagte Burns und machte damit deutlich, daß die US- Politik gegenüber dem Irak in den letzten zehn Tagen einen Schwenk vollzogen hat.

Anstelle des kurdischen Nordirak, wo die USA 1991 nach dem Krieg gegen den Irak eine Flugverbotszone und ein Hilfsprogramm mit dem Namen „Operation Provide Comfort“ eingerichtet hatten, wird also künftig der Südirak mit seinen Ölfeldern, der an die US- amerikanischen Verbündeten im Golf grenzt, in der US-Politik Priorität haben. Doch diese neue Politik könnte leicht mit einem anderen, „sehr klaren“ Interesse der USA in Widerspruch geraten, nämlich der Isolierung des Iran.

Der Schwenk in Washington zeigte sich bereits in den Reaktionen der USA auf den Vormarsch irakischer Truppen Seite an Seite mit den Kämpfern der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) von Massud Barsani in die Stadt Arbil. Die von den USA für ihre Angriffe ausgewählten Ziele lagen – zumindest bis Redaktionsschluß – ausnahmslos innerhalb der Flugverbotszone im Süden des Landes, wo das Regime in Bagdad die Schiiten fest im Griff hat. Auch wurde nicht etwa die nördliche Flugverbotszone ausgedehnt, die den südlichen Zipfel Kurdistans nie umfaßte, sondern die im Süden – unabhängig davon, daß irakische Flugzeuge zunächst überhaupt nicht in die Sperrzone eingedrungen waren. Mit der Eroberung weiter Teile Kurdistans durch die KDP und der Flucht der Führung der konkurrienden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Jalal Talabani in den Iran ist die Nordirak-Politik der USA in sich zusammengebrochen. Nicht nur, daß alle US-Amerikaner und ihre kurdischen Agenten die Region verlassen und somit jede Operationsbasis verloren haben: Die kleine kurdische Schutzzone ganz im Norden existiert de facto nicht mehr, und auch die Tage der „Operation Provide Comfort“ sind gezählt. Die alliierte Truppe zur Überwachung der Schutzone ist in der Türkei stationiert, und die neue islamistische Regierung in Ankara hat nach eigenem Bekunden bereits Konsultationen mit den USA über deren Zukunft aufgenommen. Da ist es zwar nicht unbedingt falsch, aber auch sehr bequem, die Schuld für den ganzen Schlamassel den Kurden in die Schuhe zu schieben, die – wie es Nicholas Burns formulierte – ja schließlich fünf Jahre Zeit gehabt hätten, ihre Chance zu nutzen.

So haben sich letztlich beide Kontrahenten, der Irak und die USA, das jeweils als günstiger angesehene Terrain als Austragungsort für den Konflikt gewählt. Saddam Husseins drohender Schatten liegt wieder über dem Nordirak, und die USA konzentrieren sich auf den Süden, weil er gegenüber den – auf Distanz gehenden – arabischen Verbündeten eine größere strategische Bedeutung hat, und es keine rivalisierenden kurdischen Fraktionen und interessierte Regionalmächte wie die Türkei oder den Iran gibt.

Gleichzeitig möchten die USA gegenüber Saudi-Arabien für gut Wetter sorgen, denn die Führung in Riad nimmt es der Regierung in Washington übel, daß diese nicht schärfer auf die beiden Anschläge gegen ihre Basen im Königreich reagiert hat. Saudi-Arabien verweigerte den USA gar, seine Militärstützpunkte für Angriffe gegen den Irak zu nutzen. In Riad ist man der Meinung, daß die USA nicht wirklich ein Konzept gegenüber dem Irak hat.

Doch so einfach können die USA nicht die Karte des Südens spielen und sich aus dem komplizierten nordirakisch-kurdischen Problem verabschieden. Denn egal, wie sich die Lage im Nordirak entwickeln wird, ob nun Kurdistan wieder fest in der Hand Saddam Husseins liegt oder eine Art stillschweigender Zusammenarbeit zwischen Bagdad, Barsani und Ankara vereinbart wird – in jedem Fall wird der Iran mit von der Partie sein. Dies ist auch einer der Gründe dafür, warum die USA an der territorialen Integrität des Irak interessiert sind – als Gegenmacht gegen die Islamische Republik, die die Supermacht USA mehrmals, unter anderem 1979 durch die Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft, herausgefordert und tief gedemütigt hat.

Und da sind die US-Amerikaner nachtragend: Wahlkämpfer Clinton ist bis heute in der Defensive, weil er seinerzeit nicht in Vietnam gekämpft hat. So wie er sich jetzt deshalb gegenüber Saddam als Macho beweisen muß, wird Washington seine Schande im Iran nicht vergessen und mittelfristig in jedem Falle an seiner Politik zur Isolierung Teherans festhalten. So könnte die aparte Situation entstehen, daß die Türkei ihre „Sicherheitszone“ im Nordirak einrichtet, oppositionelle Kurdengruppen von iranischen Stützpunkten aus Angriffe über die Grenze starten und die einzig verbleibende Supermacht die Region überfliegt und zuschaut, was so passiert. Beate Seel

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