US-Politik wird digitalisiert: Blog Party is in the House
Tobias Moorstedts Buch "Jeffersons Erben" schildert, wie liberale Aktivisten übers Netz die USA demokratisieren wollen. Und wie Barack Obama den surfenden Bürger für sich gewinnt.
"It's the web, stupid", kann in Abwandlung eines berühmten Wahlslogans von Bill Clinton behauptet werden, falls Barack Obama tatsächlich kommende Woche das Weiße Haus für die Demokraten zurückerobert. In seinem Buch "Jeffersons Erben" berichtet Journalist Tobias Moorstedt von einer Renaissance politischen Engagements in den USA, die wesentlich im virtuellen Raum des Internets zu beobachten ist. Und so effektiv wie kein Politiker vor ihm, vermag es Barack Obama, die surfenden Citoyens mit allen Werkzeugen und Anwendungen, die der Cyberspace derzeit bietet, für seine Kampagne zu gewinnen und einzuspannen. Weshalb Moorstedt ihn schon mal vorsorglich in eine Reihe der großen Präsidenten wie Andrew Jackson, Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy stellt, die Umwälzungen in den Kommunikationstechnologien intuitiv verstanden haben und für sich zu nutzen wussten.
Der erste Politiker, der online ins Oval Office zu gelangen versuchte, war allerdings Howard Dean. Dank seiner Ablehnung des Irakkriegs trat der damalige Gouverneur von Vermont nur als Außenseiter bei den demokratischen Vorwahlen von 2004 an und stieg gleich nach der Niederlage beim Caucus in Iowa wieder aus. Die große Zahl an freiwilligen Wahlhelfern und die enorme Spendensumme, die Dean mit Hilfe des Internet gewinnen konnte, brachte ihm aber enorme Publizität und sorgte dafür, dass er kurzzeitig als Favorit für die Präsidentschaftskandidatur gehandelt wurde. Seine Kampagne wurde zur Blaupause virtuell geführter Wahlkämpfe und zeigte vor allem, dass dank des Netzes Underdogs eine reelle Chance gegen die Kandidaten des Mainstream haben konnten.
Es traf schließlich Hillary Clinton. Ihr Team professioneller Politikberater blieb bei der Mobilisierung von Unterstützern weit hinter dem Output der digital betriebenen Selbstorganisation der Anhänger Barack Obamas zurück. Und während Clinton das Spendenreservoir ihrer reichen Finanziers im Laufe des langen Vorwahlkampfes ausgeschöpft hatte und in die roten Zahlen geriet, blieb der Senator aus Illinois dank der über seine Webpage mybarackobama.com generierten Kleinspenden von rund 1,5 Millionen Einzelpersonen jederzeit liquide.
Die dezentralen und flexiblen Strukturen des digitalen Politaktivismus beschreibt Moorstedt aber als weit davon entfernt, bloße Unterstützerplattform für den jeweils netzaffinsten demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu sein. Vielmehr geht es generell um das Aufbegehren gegen verkrustete Institutionen, um die Ausweitung von politischer Partizipation mit Hilfe der neuen Medien. Als Ahnherr der meist jungen, ambitionierten Agenten einer "e-democratization" der US-Gesellschaft führt Moorstedt keinen geringeren als Thomas Jefferson, einen der Gründerväter der USA, an. Der hielt Zufriedenheit mit den Herrschenden für ein Zeichen von Lethargie und erachtete eine größtmögliche Bürgerbeteiligung als unabdingbar für eine funktionierende Demokratie.
Der Autor hat sein Buch mit heißer Nadel gestrickt, um es noch vor dem 4. November auf dem Markt zu bringen, weshalb ihm zum Beispiel der Lapsus unterlaufen ist, eine hierarchiearme und projektbasierte Arbeitsorganisation als genuin neoliberales Managementkonzept zu charakterisieren, das sich die US-Linke nun als Netzversion für ihre politischen Zwecke angeeignet hätte.
Moorstedt bewegte sich bei seiner zweimonatigen Suche auf den Spuren der US-Revolution 2.0. auch nicht wirklich über ein liberales Milieu hinaus, sonst wäre er sicher beim Internetforum Indymedia gelandet, das seit seinem ersten Auftritt während des globalisierungskritischen Protests von Seattle im Jahr 1999 als Mutter des Open Publishing im Netz gelten kann und seine Berichterstattung aus dem linken Spektrum der Gesellschaft mittlerweile in landesweit 60 lokale Independent Media Center organisiert hat.
Dennoch ist es durchaus lohnenswert, ihm durch Vorstadtstraßen in Houston oder Bürofluchten in Washington zu folgen, wo er Eli Pariser traf, den Macher von MoveOn, Amerikas größter Wähler-Vollversammlung im Netz, die progressive Kandidaten für Senat und Repräsentantenhaus unterstützt und Unterschriften für den Rückzug der US-Truppen aus dem Irak sammelt. Er sprach mit Jane Hamsher, die mit ihrem Blog Firedoglake den Gesetzgebern in Washington auf die Finger schaut, und mit Amanda Michel, die als Chefin vom Dienst bei "Off the Bus", einem Projekt der Netzzeitung Huffington Post, die Wahlberichterstattung tausender ehrenamtlicher Mitarbeiter bündelt.
Es ist das Versagen der Wächterfunktion von Presse, Funk und TV in der vergangenen Dekade, die den Cyberspace zum Raum politischer Mobilisierung liberal gesinnter Amerikaner hat anschwellen lassen. So hätten es die Vertreter der analogen Medien bei George Bushs zweifelhaftem Wahlsieg von 2000 versäumt, kritisch nachzuhaken, um sich dann im Irakkrieg allzu bereitwillig in die neokonservative Lügenpropaganda "einbetten" zu lassen. Seit Jahrzehnten, so zitiert Moorstedt Jay Rosen, einen Mentor des "citizen journalism", beschränke sich die Berichterstattung der Zeitungen und des Fernsehens in Wahlkämpfen auf die Beurteilung von Strategie und Taktik der Kandidaten. Der Triumph-Niederlagen-Semantik des Sports frönend, würde sie praktisch kein Wort über die politischen Programme der Bewerber verlieren.
Vorbei jedoch die Zeiten, in denen der Medienkonsument zur Hinnahme eines lückenhaften Informationsflusses über asymmetrische Kanäle gezwungen war. Moorstedt sieht mit dem Internet die Brechtsche Utopie, in der sich das Radio vom Distributions- in einen Kommunikationsapparat wandelt, verwirklicht. Und jene Amerikaner, die von der kriegerischen Herrschaft der Republikaner aus ihrem fröhlichen Hedonismus der 90er Jahre gerissen wurden, die plötzlich Stellung in einer polarisierten US-Gesellschaft beziehen mussten, waren mit ihren Blogs die ersten, die das Experiment der digitalen Interaktion erfolgreich auf seine Massentauglichkeit für die politische Auseinandersetzung prüften.
Obwohl Moorstedt der Kritik, Webplattformen wie MoveOn würden lediglich einen systemstabilisierenden "Fünf-Minuten-Aktivismus" evozieren, entgegenhält, dass diese aber den Netzusern das Gefühl geben könnten, mit nur einem Klick entscheidenden Einfluss zu nehmen und so vielleicht als Einstieg in eine stärkere Teilnahme am politischen Geschehen dienten, möchte er nicht ganz vorbehaltlos in einen Jubel über den Anbruch des e-demokratischen Zeitalters fallen. Er stellt fest, dass sich zum Beispiel die Dynamik von MoveOn in der Hauptsache aus Empörung über klare Feindbilder wie George W. Bush speist. Es wird für Protest und seltener für politische Ziele um Geld und Aufmerksamkeit gerungen – angetrieben von einem Wachstumsstreben, dass letztlich dem der kommerziellen Netzwelt gleicht.
Ein klares Gut-Böse-Schema pflegen auch die meisten politischen Blogs. Sie schaffen homogene Communities, in denen extremistische Ansichten zu gedeihen drohen und wenig Toleranz für konträre Positionen herrscht. Laut manchem Webkritiker, so Moorstedt, sei in der Blogsphäre längst ein digitaler Bürgerkrieg ausgebrochen.
Auch innerhalb des web-basierten Politaktivismus hat sich ein Starsystem herausgebildet, in dem, wenngleich noch relativ instabil, Aufmerksamkeit hierarchisch verteilt wird. Blogger wie Jerome Armstrong (MyDD.com) oder Markus Moulitsas (DailyKos.com) haben millionenfache Zugriffe auf ihre Seiten in eine Prominenz auch außerhalb des Internets umgemünzt. Mit der Wahl seiner Gesprächspartner steckt Moorstedt schließlich selbst so etwas wie die VIP-Lounge der Cyberspace-Liberalen ab, mehrheitlich belegt durch jüngere Männer mit blassem Gesicht und informeller Kleidung, von denen einige sich für den virtuellen Wahlkampf Barack Obamas haben rekrutieren lassen.
Der kündigte an, im Falle seiner Wahl in einer "googlebaren" Datenbank Angaben zu den Ausgaben der Regierung zu veröffentlichen, den Bürgern bei Online-Fireside-Chats zu erklären, wie seine Politik funktioniert und jeden Gesetzentwurf, der keinen Notfall behandelt, einige Tage lang zur freien Kommentierung ins Netz zu stellen. Wird er, so fragt der Autor, tatsächlich der erste Präsident der digitalen Demokratie sein, oder könnte er sich am Ende doch als "ganz normaler" Politiker herausstellen, der den Willen zu Transparenz und Kommunikation der Sorge um den Machterhalt unterzuordnen bereit ist?
Ein erster Hinweis darauf, dass die Netz-Aktivisten, die Obamas Kandidatur befeuert haben, ihre Ressourcen auch gegen ihn wenden können, gab die Senatsabstimmung zur Überwachung von Telefongesprächen, E-Mail-Kommunikation und anderen Datenübertragungen im vergangenen Juli. Im Interesse der nationalen Sicherheit wollte Obama für den Mega-Lauschangriff stimmen. Nicht nur, dass sich auf mybarackobama.com eine Gruppe namens "Please vote no" formierte, die innerhalb einer Woche auf mehr als 20.000 Mitglieder anwuchs. Es bildete sich eine Allianz aus linker Community und konservativen Bloggern, die mehrere Hunderttausend Dollar für eine Kampagne gegen das Abhörgesetz sammelten.
Gerade weil Moorstedt in solchen ad-hoc-Koalitionen die Zukunft der vernetzten Politik sieht, erweist sich als weitere Schwachstelle seines Reports, dass er auch die rechte Hälfte des politischen Cyberspace lediglich am Rande streift. Diese umfasst ja mehr als nur den holprig geratenen virtuellen Wahlkampfauftritt des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain.
Die traditionelle Gegnerschaft der Konservativen zu bundesstaatlichen Eingriffen in lokale und private Belange wird sich in der Post-Bush-Ära sicherlich stimmig durch die dezentralen Strukturen des Internet wiederbeleben lassen – erst recht, wenn in Washington ein schwarzer Demokrat mit einer politischen Agenda des sozialen Ausgleichs sitzt. Es wäre interessant zu erfahren, wer welche Geschütze voller rassistischer und wohlfahrtsfeindlicher Munition dafür im Netz jetzt schon in Stellung gebracht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!