US-Militärgefängnis in Afghanistan: Bagram bleibt trotz Obama
Das völkerrechtswidrige US-Militärgefängnis Bagram in Afghanistan ist ähnlich umstritten wie Guantanamo. Es wird auch unter Präsident Barack Obama kaum geschlossen werden.
Die von US-Präsident Barack Obama in der vergangenen Woche angeordnete Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan um weitere 30.000 Soldaten hat weitreichende Folgen. Sie macht nicht nur eine Eskalation des Krieges und mehr tote Taliban, Soldaten und Zivilisten wahrscheinlich, sondern auch mehr Gefangennahmen. Damit dürfte das Gefangenhalten afghanischer Bürger auf afghanischem Boden durch US-Militärs ohne Gerichtsverfahren, das sowohl nach dem Völkerrecht wie den afghanischen Gesetzen illegal ist, weiter zunehmen. Obama, dem heute der Friedensnobelpreis verliehen wird, gerät damit in einen inneren Widerspruch. Und so sind 66 Prozent der Amerikaner mittlerweile der Meinung, dass der Präsident den Friedensnobelpreis nicht verdient.
Im Wahlkampf hatte er die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba zur Priorität erklärt und innerhalb seines ersten Amtsjahres zugesagt. Dieses Versprechen erwies sich als nicht haltbar. Doch die juristisch ähnlich strittige Inhaftierung von Gefangenen im afghanischen US-Militärgefängnis Bagram, wo die Bedingungen bisher schlimmer als in Guantánamo waren und 2002 sogar zwei an der Decke aufgehängte Afghanen zu Tode gefoltert wurden, ließ Obama meist unerwähnt.
Nach einer von Obama angeordneten Überprüfung der Rechtslage sprach sich das Justizministerium im Februar gegen eine Änderung der Rechtspraxis in Bagram aus. Doch im April urteilte ein US-Richter, dass zumindest nichtafghanische Gefangene in Guantánamo und Bagram identische Rechte haben und das Argument, Bagram sei Kriegszone, für die von außerhalb von den USA dorthin gebrachten Gefangenen nicht zähle. Im September ging die Regierung in Berufung und begründete dies wie unter George W. Bush mit dem Argument der Kriegszone, das ein Klagerecht ausschließe.
Gefangene: Im offiziellen Militärgefängnis Bagram sind gegenwärtig rund 700 Männer inhaftiert. Bis auf 30 sollen alle afghanische Staatsbürger sein. Es ist das größte vom US-Militär betriebene Gefängnis. Seit 2007 werden pro Monat 20 bis 30 Gefangene aus Bagram an afghanische Behörden übergeben. Die Zahl der Gefangenen in Bagram ist stark gestiegen, seit September 2004 sind von dort keine Gefangenen mehr nach Guantánamo gebracht wurden. Auf dem Stützpunkt in Kuba, wo einmal bis zu 700 Gefangene einsaßen, waren es im Januar 2009 noch 245 und im November noch 215.
Gefängnis: In Bagram werden die Gefangenen derzeit in einen neuen, 60 Millionen US-Dollar teuren Gebäudekomplex verlegt, der "Detention Facility in Parwan". Die Verlegung soll bis Jahresende abgeschlossen sein. Das neue Gefängnis befindet sich im nordöstlichen Teil der Militärbasis und kann später einmal von dieser abgetrennt werden, wenn das für maximal 1.200 Personen ausgelegte Gefängnis wie geplant den afghanischen Behörden übergeben wird. Langfristig wollen die USA dem afghanischen Militär nicht nur den Krieg gegen die Taliban übertragen, sondern auch die Gefangenen. Das könnte die Amerikaner moralisch weniger angreifbar machen, weil dann Afghanen die Verantwortung für Misshandlungen von Gefangenen wie die Missachtung von deren Rechten trügen.
Bagram ist das größte in Afghanistan vom US-Militär betriebene Gefängnis und befindet sich auf dem gleichnamigen US-Militärstützpunkt in der Provinz Parwan rund 60 Kilometer nördlich von Kabul. In der dortigen Schomali-Ebene bauten die sowjetischen Besatzer in den 80er-Jahren eine Luftwaffenbasis aus, die heute der größte und wichtigste US-Stützpunkt am Hindukusch ist. Dort betreibt das US-Militär in früheren Hangars das heute offiziell "Bagram Theater Internment Facility" genannte Gefangenenlager. Zuvor wurde es ähnlich harmlos als "Bagram-Sammelstelle" ("Bagram Collection Point") bezeichnet. Denn dorthin werden gefangene mutmaßliche Kämpfer von al-Qaida, den Taliban oder verbündeten Terrorgruppen zunächst überstellt, sogar von Südostasien oder Afrika aus.
Die Verdächtigen werden dort verhört und wie in Guantánamo nicht als Kriegsgefangene, sondern als sogenannte unrechtmäßige feindliche Kämpfer gefangen gehalten. Früher wurden sie dann oft nach Guantánamo verlegt, heute werden sie zum Teil in andere Gefängnisse überstellt. Im Falle schweren Verdachts sitzen sie meist für Jahre in Bagram ein, ohne je angeklagt zu werden oder einen Anwalt zu sehen, geschweige denn je Besuch bekommen zu dürfen.
Nach Bagram wurden auch bisher in anderen Ländern vom US-Geheimdienst CIA aufgegriffene oder entführte Terrorverdächtige im Zuge sogenannter "extraordinary renditions" (außerordentliche Auslieferung) gebracht. Dort wurden sie Verhörtechniken unterzogen, die den Tatbestand der Folter erfüllen. Solche Methoden hätten in den Ländern der Gefangennahme öffentliche Empörung ausgelöst. Im Juni 2009 sagten der britischen BBC 25 von 27 früheren Bagram-Gefangenen, die zwischen 2002 und 2008 dort waren, dass sie misshandelt wurden. Sie sprachen von Schlägen, Schlafentzug und Drohungen mit Hunden. Das US-Militär wies die Vorwürfe zurück. Doch bereits 2007 hatte das Rote Kreuz explizit Haftbedingungen und Misshandlungen in Bagram kritisiert. Im Juli protestierten nach Angaben des Roten Kreuzes hunderte Gefangene in Bagram gegen ihre Haftbedingungen und die Perspektivlosigkeit, in dem sie Gespräche mit den Rote-Kreuz-Vertretern oder Videokonferenzen mit Angehörigen verweigerten.
In Bagram befindet sich laut Washington Post noch ein weiteres Gefangenenlager, das von den Special Forces betrieben wird. Das Blatt berichtete am 28. November von zwei afghanischen Jugendlichen, die detailliert ihre Misshandlungen dort schilderten. Deren Aussagen waren für die Zeitung nicht unabhängig zu überprüfen, doch hielt die Zeitung sie für glaubwürdig. Das US-Militär wollte dies weder dementieren noch bestätigen. Dieses laut Post "schwarze Gefängnis" wird offenbar weiter betrieben, weil Obama bei seinem Amtsantritt nur die Schließung der Geheimgefängnisse der CIA anordnete, nicht jedoch die der Special Forces.
In Bagram haben das ursprünglich provisorische Gefängnis in den Hangars, das hauptsächlich aus spartanischen Stacheldrahtkäfigen besteht, bisher nur die zum Schweigen verpflichteten Vertreter des Roten Kreuzes betreten dürfen. Noch nie wurden Anwälte, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten oder Angehörigen von Gefangenen eingelassen. Den neuen Bau zeigte das Militär dagegen am 15. November Journalisten und Menschenrechtlern. Da hatte die Anlage, die über Werkstätten, Schulungs- und Besucherräume sowie besser ausgestattete Gruppen- und Einzelzellen verfügt, noch keine Insassen. Dem Tenor der Berichte zufolge ist sie ein Fortschritt.
"Für uns ist weniger die Einrichtung als solche wichtig, sondern unser Blick gilt den Gefangenen, wie sie und ihre Rechte behandelt werden", sagte Ahmad Nader Nadery von der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission anschließend der New York Times. Die Kommission darf nach afghanischem Recht alle Gefängnisse im Land inspizieren. Das wird ihr aber in Bagram vom US-Militär verwehrt.
Bis heute dürfen die afghanischen Gefangenen in Bagram keine anwaltliche Vertretung haben und ihre Gefangennahme nach Ansicht der US-Regierung weder vor afghanischen noch vor US-Gerichten anfechten. Als Neuerung soll bald jeder Gefangene den konkreten Grund seiner Gefangenschaft erfahren und jedem ein US-Militär als Betreuer zur Seite gestellt werden. Der soll bei einer Überprüfung der Gefangenschaft durch eine Militärkommission angehört werden und das Recht haben, entlastende Beweise und Zeugenaussagen zugunsten des Gefangenen zu sammeln.
Für eine Änderung des US-Gefängnissystems in Afghanistan plädierte auch der dortige US-Kommandeur und Oberbefehlshaber der internationalen Isaf-Truppe, General Stanley McChristal, im August in seiner strategischen Auswertung. Auf deren Grundlage ordnete Obama jetzt die Truppenverstärkung an. McChrystal war zu dem Ergebnis gekommen, dass das gemeinsame Einsperren von gefährlichen Terroristen mit eher harmlosen Afghanen Letztere nur radikalisiere und so den Widerstand gegen das US-Militär anheize. Deshalb seien Gefängnisreformen im Interesse des US-Militärs.
Die für die Gefangenen vorgesehenen Betreuer und deren geplante Anhörungen mögen ein Fortschritt sein. Einem rechtsstaatlichen Verfahren entspricht das nicht. Die US-Anwältin der vier vor Gericht erfolgreichen Bagram-Gefangenen sagte dazu, die Pläne erinnerten sie an das frühere Verfahren für Gefangene in Guantánamo, das der Supreme Court für unrechtmäßig erklärt habe.
Mitte November forderten die drei Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch, Amnesty International und Human Rights First die US-Regierung in einer Erklärung auf, ihre Gefangenenpolitik in Afghanistan mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen und Gefangenen zu ermöglichen, ihre Gefangenschaft gerichtlich überprüfen zu lassen. "Solche Reformen sind eine notwendige Voraussetzung, um in Afghanistan langfristig eine auf Rechtsstaatlichkeit basierende Stabilität zu erreichen", erklärte Sahr Muhammed Ally von Human Rights First dazu. Das US-Militär breche afghanisches Recht, das jedem Afghanen ermögliche, seine Gefangenschaft gerichtlich prüfen zu lassen. Um die afghanische Regierung ihrerseits zur Einhaltung der Gesetze zu ermuntern, sollte das US-Militär der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission den Zugang zu den US-Gefängnissen in Afghanistan gestatten. Indirekt räumen die Organisationen damit ein, dass in den afghanischen Gefängnissen mit ihren 15.000 Gefangenen ebenfalls die Rechte von Gefangenen missachtet werden.
"Das Bagram-Gefängnis ist ein Symbol dafür, dass die USA in Afghanistan ohne angemessene Rechtsgrundlage operieren", sagt Sam Zarifi von Amnesty International. "Angesichts der existierenden Probleme im afghanischen Justizsystem müssen die amerikanische und die afghanische Regierung ein System installieren, welches das Recht der Gefangenen respektiert, ihren Fall vor Gericht zu bringen und freigelassen zu werden, wenn sie unschuldig sind."
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