US-Medien in schwerer Krise: Woodwards arme Erben
In der US-Medienkrise werden immer mehr gemeinnützige Stiftungen gegründet, um investigative Recherchen zu finanzieren. Auch Spenden qualitätsbewusster Leser sind willkommen.
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Die US-Medienkrise hat längst Redaktionen erreicht, die bislang als unangreifbar galten. Zuletzt drohte die Geschäftsleitung der New York Times den gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern ihrer Tochter Boston Globe, das Blatt ganz einfach von heute auf morgen einzustellen, sollten sie nicht zu Zugeständnissen bei Sparmaßnahmen bereit sein.
Bei der Times selbst sieht es kaum besser aus: Nach Jahren der kreditfinanzierten Expansion wird hektisch an komplexen Umschuldungsmaßnahmen wie dem Verkauf des eigenen Wolkenkratzers gearbeitet, um das Traditionshaus vor dem Untergang zu bewahren. Einschnitte betreffen inzwischen auch die bislang als heilig geltende Redaktion. Sollte die sich nicht zum Gehaltsverzicht entschließen, werde dort ebenfalls die Sense geschwungen, teilte das Management den einst hofierten Mitarbeitern Ende März mit.
Den Schrumpfprozess sehen auch andere Branchenentscheider - und sprechen ihn inzwischen deutlich aus. Tom Glocer, Chef des Nachrichtenkonzerns Thomson Reuters, ließ sich laut einem Bericht des NY Observer kürzlich während einer geschlossenen Veranstaltung dazu hinreißen, die Frage zu stellen, ob die Times nicht gar mit nur 60 Journalisten auskäme ("30 Reporter und 30 Volontäre"), die 600 bis 700 Personen starke Truppe sei zu groß. Das Blatt könne seine Europaberichterstattung ja dann beispielsweise von der Financial Times kaufen und den Sport vom US-Footballsender ESPN.
Die Lage ist inzwischen so mies, dass selbst größere Blätter ihre Korrespondentenbüros "poolen", also beispielsweise keine eigenen Journalisten mehr nach Washington schicken, sondern einfach Ressourcen anderer Zeitungen nutzen. Echte eigene Auslandskorrespondenten leistet sich neben Wall Street Journal und New York Times sowieso kaum noch ein Verlag.
Das alles hat Auswirkungen auf die inhaltliche Qualität. Hat ein größeres Lokalblatt mit einer mittleren sechsstelligen Auflage keine eigenen Reporter mehr in Washington, kann auch kaum mehr über die eigene Region betreffende Entscheidungen recherchiert werden. Würden die großen Blätter reduzieren, ginge der Teil des investigativen Journalismus, dessen sich die US-Medienszene dereinst rühmte, vollends verloren. Sind die Nachfolger von Woodward und Bernstein, den beiden Reportern, die den Watergateskandal für die Washington Post aufdeckten, also eine aussterbende Art? Wenn nicht bald neue Mittel und Wege gefunden werden, befürchten Beobachter genau das.
Doch es ist eine Gegenbewegung zu spüren. Die kommt nicht etwa von traditionellen Medienunternehmen, die mit Umsatzverlusten und ihren Kreditproblemen schon genug zu tun haben, sondern von Dritten. Das Geld kommt entweder von gemeinnützigen Stiftungen, die die Wachhundaufgabe der Presse bewahren wollen, oder von den Lesern selbst, die journalistische Arbeit direkt finanzieren.
Das bekannteste Projekt nennt sich ProPublica und ist eine unabhängige Recherchetruppe aus Profis, die ihre Gelder von Stiftungen wie der liberalen Sandler Foundation erhält. Das Projekt hat mit Paul Steiger, dem ehemaligen Redaktionsleiter des Wall Street Journal, einen renommierten Spitzenmann gefunden. Mit knapp 50 Mitarbeitern setzt das Projekt ganz auf investigativen Journalismus und veröffentlicht Ergebnisse entweder unter Propublica.org oder über renommierte Medienpartner, mit denen man direkt zusammenarbeitet, darunter die Newsweek und sogar die New York Times. Die Sandler-Stiftung hat zunächst 10 Millionen Dollar bereitgestellt, um das Projekt anzukurbeln. Konservative Republikaner kritisieren allerdings, dass der Geldgeber "zu links" sei.
Ein ProPublica sehr ähnliches Vorhaben plant auch das Weblog-Netzwerk Huffington Post, das in den letzten Jahren die US-Medienszene kräftig durchgewirbelt hat und inzwischen enorme Leserzahlen vorweisen kann. Gründerin Arianna Huffington hat zusammen mit der Stiftung The Atlantic Philanthropies den sogenannten Investigative Fund aufgelegt. 1,75 Millionen Dollar stecken zunächst drin, was ausreichen soll, um ein Team von bis zu zehn Reportern zu beschäftigen, dazu kommt eine Freelancertruppe. Huffington plant, für ihr Projekt auch entlassene Journalisten anzuwerben, die derzeit nach neuen Aufgaben suchen. Rechercheergebnisse sollen ähnlich wie bei ProPublica möglichst weit gestreut werden. Huffington nannte als Beispiele für zu wenig investigativen Journalismus unter anderem die aktuelle Finanzkrise und den Irakkrieg. In beiden Fällen habe die klassische Presse zu spät reagiert.
Jeff Jarvis, bekannter US-Onlinejournalismusaktivist, der ursprünglich aus dem Printbereich kommt, glaubt gar, Huffington werde mit ihrem neuen Projekt "den Journalismus retten". Ob dafür 1,75 Millionen Dollar ausreichen, bleibt abzuwarten. Spenden von Lesern werden gern entgegengenommen.
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