US-Kulturmagazin: Prosa and the City
Kultur als Mischung aus E-Mails, Fitness und Pornografie - das Kulturmagazin n+1 von Benjamin Kunkel ist ein Aushängeschild der New Yorker Literaturszene.
NEW YORK taz "Wir wollten ein Magazin machen, das wir selber lesen möchten", sagt Benjamin Kunkel über den Elektrolärm einer neuen, wahnsinnig hippen New Yorker Bar hinweg. "Wir wollten geerdete Prosa mit kritischer Theorie verbinden."
So war einmal die Ausgangslage, irgendwann vor 2003, als sich Kunkel und Kollegen darüber verständigten, dass etwas fehlte auf dem Zeitschriftenmarkt. Kultur, heißt es sinngemäß in der ersten Ausgabe von n+1, kann immer stärker expandieren, um dann die Supermärkte zu füllen. Wohin mit dem Ungenügen, wohin auch mit den eigenen Texten, die so wenig in die vorgegebenen Kategorien und Formate passen wollten? Mit einem kleinen Privatbudget begannen Keith Gessen, Mark Greif, Benjamin Kunkel und Marco Roth die Arbeit an n+1. Im Herbst 2004 erscheint die erste Ausgabe.
Vier Ausgaben später, 2007, kann sich n+1 bereits ein kleines Büro am Rande des East Villages in Manhattan leisten. Das New York Times Magazine hat es mit dem Ritterschlag der Bedeutsamkeit versehen, und spätestens seit Kunkels überragendem Erfolg mit seinem Roman "Unentschlossen" gilt n+1 in den USA als einflussreich in Sachen junge Literatur. So wurden vom aktuellen Heft 5 nach Angaben der Macher solide 7.500 Exemplare gedruckt - nicht zu verachten für eine avantgardistische Literaturzeitschrift.
n+1 ist eine Erfolgsstory: Neben den renommierten Kritikern kann das Magazin Schriftsteller wie Jonathan Franzen oder die Gründerin der New York Review of Books, die im letzten Jahr verstorbene Barbara Epstein, zu seinen Anhängern zählen. Der Suhrkamp Verlag plant für 2008 eine Sammlung von Erzählungen aus der Zeitschrift.
Denn die Herausgeber berühren einen wunden Punkt: Anfang 30 - so alt sind sie selbst - gibt es ein Bedürfnis danach Kultur, Kritik und Ernsthaftigkeit in Einklang zu bringen. Und vielleicht danach, erwachsen zu werden. Beziehungsweise das entscheidungslose Nirwana halber Jobs und halber Meinungen zu verlassen, wie es auch den Protagonisten in Kunkels Roman, plagt. Das scheint in New York nicht anders als in Berlin.
Kultur der Gegenwart wird in n+1 ausbuchstabiert als die Kultur, die uns in Form von E-Mails, Fitnesscentern und Pornografie umgibt. Auf dem Weg vom privaten Zugang der Autoren zur theoretischen Analyse schwindet jedoch so manchem Text die Schärfe: Er verläuft sich in Plänkelei oder merkwürdig kritischer Unaufgeregtheit. Es wird überhaupt manchmal ein bisschen viel erzählt auf in den oft 300 Seiten starken Heften. Wenn sich ein Autor etwa seitenlang über die alltägliche Überschüttung mit belanglosen E-Mails beklagt, mag man denken: ja, ja, sicher. Nur wozu all das? Es ist das alte Problem hipper Kritik: Sie mag eigentlich keine halben Meinungen - kommt aber oft selbst seltsam unvollständig daher.
Wohltuend viel Platz bietet das Magazin zur Entfaltung verwobener Geschichten, und dafür steht n+1. Aber kritische Theorie der unkritischen Zeit bräuchte eine bissige und böse Vision. Und gerade die fehlt.
Am stärksten ist n+1 dort, wo an der Grenze von Akademie und Diskurs versucht wird, einen ironischen, kritischen Ton anzuschlagen. Es bleibt also abzuwarten, was aus n+1 wird.
Noch siedelt das Magazin off-broadway und ist nur schwer zu finden. Aber die coolen Bars sprießen derzeit ja nur so aus dem Boden am oberen Ende des East Village.
In Europa kostet das Jahresabo (2 Ausgaben) 40 Dollar (ca. 30 Euro) inkl. Versand. Am Sonntag, 19 Uhr, lesen Kunkel und Gessen auf dem New-York-Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
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