US-Gesundheitsrefom: Der Countdown läuft
In dieser Woche will Obama die Gesundheitsreform durch das Repräsentantenhaus bringen. Die Republikaner blocken weiter. Ihre Kampagne kommt bei vielen Wählern an.
WASHINGTON taz | Natoma Canfield ist Barack Obamas wichtigestes Argument in der letzten Phase seines Kampfes für eine Gesundheitsreform. Während der Countdown vor der Abstimmung im Repräsentantenhaus läuft, spricht der US-Präsident von der blutkrebskranken 50jährigen Frau, die keine Krankenversicherung mehr hat, weil sie die letzte Beitragserhöhung nicht zahlen konnte. "Ich tue dies für Natoma", sagte Obama am Montag Abend bei einer gefühlsgeladenen öffentlichen Rede in Strongsville in Ohio. Hinter den Kulissen bearbeitet er in Einzelgesprächen demokratische Abgeordnete aus dem Repräsentantenhaus, die bislang gegen die Reform sind. Sie sind zahlreich.
Präsident Obama hat eine eigene, für dieses Wochenende geplante, Asienreise verschoben. Und er hat den ParlamentarierInnen schon vor Tagen gesagt, dass sie ein langes Arbeitswochenende in Washington planen sollten. Als moralischen Rat gab er ihnen auch auf den Weg: "Seid mutig". Das ist eine Aufforderung an seine Truppen, weder auf Meinungsumfragen, noch auf die Prognosen für die Wahlen im November zu schauen. Im November steht die Neuwahl des kompletten Repräsentantenhauses und eines Drittels des Senats an.
Die oppositionellen RepublikanerInnen halten an ihrer Fundamentalopposition gegen die Gesundheitsreform fest. Das "amerikanische Volk will keine Bürokratisierung und keine Verteuerung des Gesundheitswesens", schreiben die Chefs der Republikaner in beiden Kammern des Parlamentes im Wall Street Journal. Sie halten auch das jetzt von Obama eingeschlagene sogenannte Reconciliations-Verfahren für unzulässig: Der Gesundheitssektor sei zu wichtig und ökonomisch zu bedeutend dafür.
Die beiden Parlamentarier drohen zugleich an, dass sie die Namen aller Demokraten, die für die Reform stimmten, in Fernsehspots öffentlich machen werden. In den Büros der demokratischen ParlamentarierInnen laufen unterdessen die Telefon- und Faxleitungen heiß. Täglich kündigen dort hunderte von "WählerInnen" an, dass sie eine Zustimmung zur Gesundheitsreform an der Urne bestrafen würden. Die Umfragen zeigen, dass die rechte Kampagne mit der Angst vor einer Kostenexplosion Erfolge an der Basis gebracht haben.
Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi manövriert im Tandem mit dem Präsidenten, um die Reform dennoch durch den Kongress zu bringen. Die Schwierigkeit ist unübersehbar - selbst am Montag, als der zuständige Ausschuss den Weg freiräumte. Zwar stimmte er dem irreführenderweise als "Versöhungsverfahren" genannten Procedere zu - danach genügt eine einfache Mehrheit von 51 gegen 49 Stimmen, um ein Gesetz zu verabschieden - doch zwei demokratische Ausschussmitglieder votierten dagegen.
Die Reform soll nach Obamas Willen 30 Millionen bislang nicht versicherten AmerikanerInnen Zugang zu einer Krankenversicherung schaffen. Zugleich soll sie für eine stärkere Kontrolle des ausschließlich privaten Versicherungsmarktes sorgen. Erst in den letzten Wochen haben mehrere große Versicherungen ihre Beiträge um zweistellige Prozentzahlen erhöht.
Natoma Canfield, die zuvor völlig unbekannte Frau, die jetzt in einem Krankenhaus von Ohio liegt, hatte Präsident Obama im vergangenen Herbst einen Brief geschickt, der seither nationale Karriere gemacht hat. In dem Brief beschrieb sie ihren eigenen Fall, der typisch für Millionen von niedrig verdienenden US-AmerikanerInnen ist. Natoma Canfield hat sich trotz geringen Einkommens stets privat versichert. Doch in zwei Schüben - im vergangenen Jahr und Anfang diesen Jahres - erhöhte ihre Versicherung ihre Beiträge um insgesamt 60 Prozent. Sie musste ihre Versicherung aufgeben. In der vergangenen Woche wurde bei Natoma Canfield Blutkrebs diagnostiziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich