UNTERHOSE: "Ich verbiete euch zu gehorchen" - Ernst Werner - Lehrer aus Leidenschaft wider politische Unvernunft

Wer die Schule verläßt, will nichts mehr von ihr wissen oder wird Lehrer. Trifft man einen Klassenkameraden nach Jahrzehnten wieder, erzählt man sich die alten Geschichten, fabuliert ein wenig dazu und fertig ist die Feuerzangenbowle. Volkhard Brandes, Reiner Steinweg und Frank Wende machten es besser. Sie haben ein Buch über ihren Lehrer Ernst Werner (1907-1986) geschrieben. Werner war ein Unbequemer, „einen kämpferischen Aufklärer“ nennen ihn die Autoren. Werner hatte wenig Verständnis für den National und Statusklimbim der 50er Jahre, der sich von dem unseren weniger unterscheidet als ich vor der Lektüre des Buches annahm. In einem offiziellen Brief schrieb der Regierungspräsident am 19. Januar 1957 an Oberstudiendirektor Ernst Werner:

„Im Unterricht und gegenüber dem Ihnen unterstellten Kollegium sollen Sie Äußerungen gebraucht haben, die gegen die Ihnen durch Ihre Beamtenstellung zum Staat auferlegten Pflichten verstoßen.

1.) Aus ihrer Abneigung gegen jedes nationale Emblem sollen Sie gegenüber dem Kollegium keinen Hehl gemacht haben, indem Sie kurz nach Ihrem Dienstantritt in Lemgo erklärt haben sollen, statt der Fahne würden Sie auch vor einer Unterhose eine Ehrenbezeugung machen.

2.) Als im Anschluß an die Fußballweltmeisterschaft 1954 die deutsche Nationalhymne gespielt wurde, sollen Sie diese Tatsache ironisch durch die Bemerkung glossiert haben, daß es eigenartig sei, wenn ein Deutscher bei der deutschen, ein Franzose bei der französischen und ein Indonesier bei der indonesischen Nationalhymne in Tränen ausbreche. Das zeige ganz deutlich, wie künstlich diese nationalen Gefühle seien, die den Deutschen im Elternhaus vielfach beigebracht würden.

3.) Vor längstens 2-3 Jahren sollen Sie eines Tages die Klasse der OIm betreten haben, Ihren Schlips abgebunden und einem Schüler umgehängt haben, dasselbe sollen Sie dann von dem Schüler verlangt haben. Der Klasse erklärten Sie sodann, daß dies derselbe Vorgang sei, als wenn man sich im öffentlichen Leben gegenseitig Orden verleihe.

4.) Die Mitglieder des Rates der Stadt Lemgo sollen Sie im Zusammenhang mit der Einrichtung des neuen Sportplatzes vor den Schülern der Klasse OIIs als 'Duodezpotentaten‘ bezeichnet haben.

5.) In Ihrer Kritik gegenüber der derzeitigen Regierungspolitik sollen Sie sich oft von dem Boden der sachlichen Diskussion entfernt haben. So sollen Sie erklärt haben, daß die Nazis wieder an die Macht gekommen seien. Sie sollen weiter von Generälen in staatlichen Unterhosen gesprochen und Generäle als Massenmörder von Beruf bezeichnet haben. Überhaupt sollen Sie an den Verhältnissen in der freien Welt und insbesondere der Bundesrepublik sehr oft scharfe Kritik üben, während Sie die Verhältnisse jenseits des eisernen Vorhangs nicht in Frage stellen, zumindest aber nicht verurteilen.“

Schuldirektor Werner verlor seinen Posten, ging nach Hessen, unterrichtete in Darmstadt und Gießen. Man sollte annehmen, ein solcher Mann wäre von der Studentenbewegung begeistert gewesen. Falsch. Einer seiner Schüler erinnert sich: „1968/69 war Werner mit Sicherheit einer derjenigen, die durch diese Bewegung am meisten getroffen wurden. Er war völlig außer sich über die 'antiautoritäre Bewegung‘ oder wie immer man sie nennen soll. 'Wenn Sie wollen‘, hat er den Schülern in Gießen gesagt, 'rufe ich sofort Herrn Schütte (den Hessischen Kultusminister) an und sage ihm, ich lege hiermit mein Amt nieder!‘ So reagierte er... Ganz wesentlich war für ihn doch das Erlebnis des Dritten Reiches. Er hat das wahrscheinlich ganz kritisch und bewußt erlebt, daß ein Volk Hurrah schreit, hinter einem herruft: 'Führer befiehl, wir folgen dir!‘ Wahrscheinlich hat er da Ähnliches in den Jahren nach 1968 gesehen und hat das genauso verurteilt, auf welcher Seite auch immer. Er fürchtete die Verführbarkeit des Menschen, er wollte keine Massenmenschen, sondern Individuen, die alles kritisch befragen.“

„Ich verbiete euch zu gehorchen“ - Ernst Werner - Lehrer aus Leidenschaft wider politische Unvernunft, hrsg. von Volkhard Brandes, Reiner Steinweg und Frank Wende, Verlag Brandes & Apsel, 271 Seiten, s/w Fotos, 24,80 DM