UNO-Gipfel zur Armut: Zahl der Hungernden steigt
Die UNO diskutiert, ob die 1990 beschlossene Armutsverringerung noch zu erreichen ist. Die Industrieländer müssten dazu ihre Versprechen halten.
GENF taz Mit einem "Dringlichkeitsgipfel" im Rahmen der UNO-Generalversammlung am Donnerstag will Generalsekretär Ban Ki Moon die "Millenniums-Entwicklungsziele" retten, die die UNO im September 2000 beschlossen hat. Die acht Millenniumsziele haben das gemeinsame Ziel, die weltweite Armut bis 2015 zu halbieren. Eine von Ban vorgelegte Bilanz der ersten acht Jahre zeigt nur dürftige Fortschritte, die Zahl der Hungernden und Armen hat seit letzten Jahr gar wieder zugenommen.
Zu dem Dringlichkeitsgipfel werden die Staats- und Regierungschefs von fast 100 Staaten erwartet. Deutschland entsendet lediglich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Bereits am heutigen Montag befasst sich die UN-Generalversammlung mit dem afrikanischen Kontinent. Dort erzielten die UN bisher die geringsten Fortschritte bei der Umsetzung der Millenniumsziele.
Am besten sieht es der Bilanz des UN-Generalsekretärs zufolge aus bei dem Ziel, bis zum Jahr 2015 allen Kindern eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. In acht der zehn Regionen, in die die Statistiker der UN die Welt für ihre Untersuchungszwecke unterteilt haben, sei dieses Ziel "bereits zu 90 Prozent erreicht", heißt es. In Afrika südlich und nördlich der Sahara liegt die Einschulungsquote allerdings noch weit unter dieser Marke.
Bei der Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen schweren Krankheiten gab es laut Bilanz zumindest punktuelle Erfolge. Auch in diesem Fall sind die Fortschritte auf dem afrikanischen Kontinent jedoch gering. Dass Malaria nach wie vor die weltweit häufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren ist, wie die Weltgesundheitsorganisation letzte Woche mitteilte, liegt an den hohen Todeszahlen unter afrikanischen Kindern. Auch insgesamt sieht es ungünstig aus, was die Ziele betrifft, die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel und die von Müttern um drei Viertel zu reduzieren: Die bisherigen Fortschritte sind so gering, dass ein Erreichen der Ziele in den verbleibenden sieben Jahren äußerst unwahrscheinlich ist.
Wunder Punkt der Bilanz sind schließlich die beiden "Kernziele" der Millenniumsaufgaben: Bis 2015 wollten die UN sowohl den Anteil der Hungernden als auch der "extrem Armen" an der Weltbevölkerung halbieren. In seiner letztjährigen Bilanz hatte Ban noch verkündet, dass nicht nur der Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung (die seit 1990 um über 20 Prozent gewachsen ist) gesunken sei, sondern, dass sich auch ihre absolute Zahl seit 1990 von 1,8 Milliarden auf rund 925 Millionen fast halbiert habe. In der neuen Bilanz ist jetzt aber von über 1,4 Milliarden "extrem Armen" die Rede - denn inzwischen hat die Weltbank den Schwellenwert für extreme Armut von 1 auf 1,25 US-Dollar am Tag heraufgesetzt.
Zudem hat die absolute Zahl der Hungernden und damit auch ihr Anteil an der Weltbevölkerung in den letzten zwölf Monaten nicht nur statistisch, sondern auch real stark zugenommen - um 75 Millionen auf 923 Millionen Menschen. Schuld daran ist der rasante Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen zwölf Monaten.
Die Umsetzung der Ziele bis 2015 sei noch "möglich", schreibt Ban. Allerdings "nur bei verstärkten finanziellen Anstrengungen, und wenn die Industrienationen ihre in den letzten Jahren gemachten Versprechen zur Erhöhung der Entwicklungshilfe auch umsetzen". Ob ein erneuter Gipfel dazu beitragen kann, darüber herrschen unter UN-Diplomaten wie unter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhebliche Zweifel. Für die britische NGO Oxfam macht der Gipfel nur Sinn, wenn die Regierungen dort einen "Aktionsplan zur Überwindung der extremen Armut in den nächsten sieben Jahren beschließen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?