UM DIE TÜR HERUM

■ Das Medea(west)Theater spielt „Frank oder, Tante Bärchen kauft sich einen Pelz“ im Ratibor-Theater

Die Tür sieht schwer aus, als ob sie aus Stahl sei und befindet sich an bühnengewohnter Stelle hinten rechts. Das kleine Fenster plaziert sich genauso konventionell gegenüber an der linken Seite. Damit ist, von dem wie zufällig da geparkten Stuhl mit übergeworfener Jacke abgesehen, den herkömmlichen Sehgewohnheiten aber schon Genüge getan. Denn die Wände der Bühne bestehen aus wild zusammengehängten, weißen Fetzen, und vor dem hellerleuchteten Arrangement versperrt ein Gazestreifen die klare Sicht.

Die SchauspielerInnen kommen dann auch nicht zur Tür herein, sondern kriechen durch ein Loch in der Fetzenwand. Der normale Weg scheidet für sie aus - und das ist symbolisch gemeint. Annette Gleichmann-Altmann, Bernd Hoffmann, Antje Lindemann und Michelle Thiede, vier die gegangen sind, weil sie nicht arbeiten konnten, wie sie wollten, spielen ein Stück von einem, der geblieben ist. Autor Dirk Altmann, zur Zeit 27 Jahre alt, arbeitet seit 1985 im Ost-Berliner „Medeatheater“, eine der wenigen dortigen freien Gruppen, mit. Bevor er zum Theater kam, versuchte er immer wieder auszubrechen, indem er Begonnenes abbrach, den Leistungssport für die Produktion, den Schwermaschinenbau fürs Theater, das Regiestudium für die Altenbetreuung.

Von den Versuchen aus dem sozialistischen Alltag auszubrechen, (beziehungsweise sich mit ihm zu arrangieren), handelt auch sein Stück „Frank oder, Tante Bärchen kauft sich einen Pelz“, das im letzten Winter entstand. Alles ist vorhanden: Die offizielle Stimme im Radio und der tatterige Amtsmensch, der den Präsentkorb zur Ehrung des Genossen in treulicher Pflichterfüllung auch noch überreichen will, als der zu Ehrende sich längst umgebracht hat.

Soweit hätte das Stück auch der Phantasie von West-Köpfen entsprungen sein können. Glücklicherweise hält sich die Inszenierung von Armin Petras daran nicht zu lange auf. Wichtiger sind die Details: Die lieblichen Kinderlieder, die nie jemand vergessen wird, der oder die in der Kinderheit „Eterna„-Kinderplatten vorgespielt bekommen hat, wie: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich bind mir eine Schürze um und fege schon mal aus.“ Weiter das Glück über erstandenen Karten für ein klassisches Konzert und die Gestaltung der Wochenende mit Elbdampferfahrten, gern ab Meißen flußaufwärts. Ein wackliger Kurzfilm in Urlaubsfarben dokumentiert die Idylle. Weiter Generationenkonflikt, Jugendträume und Alterssorgen präsentiert in Lederjacke und Kittelschürze, und alles versponnen zu einem großen Komplex, mit dem der Inhalt des 'Neuen Deutschlands‘, das da auf der Erde zertreten wird, nur noch mittelbar zu tun hat.

Wie Musik begleitet die durch Geräuschcollagen voneinander getrennten Szenen ein Text, der von einem erzählt, in dessen Kopf die Alltagswahrnehmungen zu Auslösern paranoider Angstzustände werden. Den Text sprechen in ersten Linie die Frauen, die hier endlich einmal anstelle der Männer das „Menschsein“ spielen. Sie arbeiten mit Sprachrhythmus und Pantomime, kichern hysterisch drauflos, erleben Wutausbrüche und weinen und schreien zwei Stunden lang, ohne zu ermüden. Zwischen ihnen spielt sich auch der letzte entscheidende Kampf vor der Tür ab.

Als sie längst resigniert haben und in besoffenem Zustand herumlallen, öffnet sich die Tür einen Spalt breit. Die eine entschlüpft. Kehrt wieder, erinnert sich mit der anderen an die Träume von einer Reise nach Paris, geht nach langem Schwanken doch. Die andere versucht den Paßtrick, wie er zur Zeit ausführlich im Krolltheater behandelt wird, der ihr jedoch nicht gelingt und bleibt. Die Ausgereiste kehrt als Besucherin wieder, und nach der ersten Verlegenheit beim Wiedersehen wird die Entfremdung klar: während die „Westlerin“ sich Luft zufächelt, beginnt die Zurückgebliebene haltlos vor Kälte zu schlottern.

Bis zu diesem Höhepunkt muß sich das Publikum lange gedulden. Ein bitterkomischer Slapstick hier, eine symbolische Pantomime da und Nachgeklapptes dort zerdehnen und zerfasern „Frank oder, Tante Bärchen kauft sich einen Pelz“. Zum Schluß finden alle SchauspielerInnen noch einmal in ihre Ausgangsposition zurück. Nach kurzen Monologen brechen sie mit Gewalt durch die Fetzenwand. Kaum ist das geschehen, geht die geheimnisvolle Tür von selbst auf. Ob es anders als mit dem Kopf durch die Wand gegangen wäre, bleibt offen. Und die Tür muß auch nicht unbedingt in den Westen führen.

Claudia Wahjudi

„Frank oder, Tante Bärchen kauft sich einen Pelz“ von Drik Altmann im Ratibor-Theater, Cuvrystr.20, 1/36, am 30. und 31.August, 21Uhr.