UK-Trend: Humor für Hedonisten

New Rave heisst der Trend der Stunde in Großbritannen – Indierock mit einem Schuss Acidhouse. Die Pioniere Simian Mobile Disco veröffentlichen nun ihr Debüt.

Britpop, der lieber auf Ecstasy tanzen geht, als biertrinkend in der Ecke zu stehen: Simian Mobile Disco Bild: cooperativemusic

London im Mai 2007: Der riesige, gefährlich überfüllte Club, der sich in die Bögen unter dem Bahnhof London Bridge geschmuggelt hat, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Mitten im Raum liegt nachlässig umzäunter Schutt, und wer hier versehentlich an eine der Backsteinwände gerät, ist für den Rest der Nacht mit dem Schmutz gezeichnet, der in den Neunzigerjahren das Erkennungszeichen der Berliner Technoszene war. Die belgischen Elektropop-Rocker Soulwax bringen hier heute ihr Remix-Album „Nite Versions“ auf die Bühne, vorher spielt eine neue britische Indie-Hoffnung, und zwischendurch legt ein Mitglied der brasilianischen Thrash-Metal-Band Sepultura aktuellen Elektro auf. Als Soulwax auf die Bühne kommen, passiert das, wovon das britische Pop-Zentralorgan NME seit einem Jahr regelmäßig berichtet: Ein Raum mit geschätzten tausend Menschen, typisches Indie-Volk neben neonbunten Gestalten mit Straußenfedern im Haar, wirfen sich zu Stroboblitzen und Höllenlärm auf- und durcheinander, schwitzen, schreien, verschütten Getränke, fällen hin und stehen wieder auf, um weiterzutanzen.

Die Szene wäre nur eine weitere Nacht in der Disco, wäre 2007 nicht das Jahr des New Rave, ein Trend, der im Moment die Musik, die Mode und die Clubkultur Großbritanniens verändert. Und der in Nächten wie diesen zeigt, dass er sich trotz der Wiederkehr von Smileys und Leuchtstäben mitnichten als Revival der Rave- und Acid-Kultur der frühen Neunziger verstehen lässt. Das eigentlich Neue am Begriff New Rave ist aber die Tatsache, dass es diese Bewegung ohne den mediale Hype zwar nicht gäbe, sie sich aber in einem produktiven Verhältnis zu den Bildern befindet, die von ihr kursieren: New Rave handelt schließlich vor allem von Dekonstruktion, Improvisation und der Feier des Selbermachens. Neue Bands wie Klaxons, New Young Pony Club oder CSS, die als Posterboys und -girls des Genres herhalten müssen, mögen sich vielleicht mit Neonfarben schmücken. In ihrer Musik mischen sie trotzdem lieber eine solide Basis aus klassischem Indierock mit ironischen Acidhouse-Zitaten. Das Ergebnis klingt wie ein toleranterer, energetischer Entwurf von Britpop, der lieber auf Ecstasy tanzen geht, statt Bier trinkend in der Ecke zu stehen.

Zu den Vätern dieser Entwicklung zählen die DJs, Remixer und Produzenten Simian Mobile Disco (SMD) aka James Ford und Jas Shaw – zwei Musiknerds aus Manchester, die es nie darauf angelegt hatten, irgendwann als Geburtshelfer einer neuen Lifestyle-Bewegung genannt zu werden. Die beiden waren früher mal Teil der elektronisch beeinflussten Rockband Simian. Aus Liebe zur elektronischen Tanzmusik produzierten sie nebenbei experimentelle Elektro-Tracks, die sie nach den Konzerten mit Simian bei selbst gebuchten DJ-Gigs vor Publikum testeten. Aus dem zur Feierabendbelustigung gedachten Projekt wurde mehr, als sich der Titeltrack des zweiten Simian-Albums „We Are Your Friends“ im Remix des französischen Elektroduos Justice vor allem durch Web-basierte Mundpropaganda zum weltweiten Club-Smasher entwickelte.

Heute sind Simian längst Geschichte und Simian Mobile Disco reisen als DJ-Superstars des New Rave um die Welt. Wenn sie nicht gerade Platten für Bands wie Klaxons oder die Arctic Monkeys produzieren. Dabei ist es allein die Schublade, die sie an New Rave inzwischen nervt: „Niemand ist glücklich über diesen Hype. Aber er bringt wichtige Impulse, führt musikalische Genres zusammen und beflügelt damit nicht nur die Musikszene, sondern auch die Clubkultur“, sagt Jas Shaw beim Interviewtermin zum gerade erschienenen ersten SMD-Album in Berlin.

„Attack Decay Sustain Release“ heißt das Werk nach vier Funktionen eines modularen Synthesizers, dem Lieblingsinstrument von Ford und Shaw, die ansonsten hauptsächlich mit billigem analogen Equipment aus den Siebzigern und Achtzigern arbeiten. Und die zehn melodiösen Tracks sind weniger DJ-Mix als ein gut durchkomponiertes Best-of der vergangenen fünf produktiven Jahre in der jungen Geschichte von Simian Mobile Disco. Es lässt sich als Funktionsmusik für das große Hedonismus-Revival dieses Sommers benutzen oder aber wie ein Pop-Album durchhören. Und klingt dabei nach akustischer Vergangenheit und elektronischer Zukunft, nach frühem Acid, Cosmic und Italo House, psychedelischem Rock, zeitgenössischem Indie, viel Humor und zwei freien Geistern, die sich ihre Ideen lieber nicht von der Jagd nach Perfektion nehmen lassen wollen.

„In erster Linie Spaß“ wollten sie beim Musikmachen haben, erzählt Jas Shaw. „Wir haben immer schon schnell und spontan gearbeitet. Deshalb nehmen wir auch nicht mit Software, sondern analog auf: Wenn ein Track gut wird, lassen wir ihn so, wenn nicht, schmeißen wir ihn weg und machen noch einen.“ Und sollte also schon bald der Tag kommen, an dem der New Rave im Mainstream oder in der Mülltonne der Musikgeschichte verschwindet, sind Talente wie Simian Mobile Disco wahrscheinlich längst über alle Berge.

Simian Mobile Disco: „Attack Decay Sustain Release“ (Cooperative Music/ Universal)

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