Typologie der Benedikt-Kritiker: Der Sturm der Gegenpäpste
Mehr als 10.000 Menschen wollen Donnerstag auf der Straße gegen den Papst demonstrieren. Wer sind sie? Was kritisieren sie? Und womit werden sie werfen? Eine kleine Typologie der Papstgegner.
Die Innerkirchlichen
Im katholischen Glauben gefestigt, doch über die Kirchenhierarchien im Zweifel: Der Papst ist für die internen Kritiker sichtbarstes Symptom für überholte Strukturen. Auch weil für sie die Zurückweisung von Homosexuellen und Geschiedenen durch Benedikt XVI. nicht mit der gepredigten Nächstenliebe in Einklang zu bringen ist. Ihr Wunsch: weniger Zölibat, mehr Macht den Laien und Frauen im Kirchengeschäft. Und Papa Bene als Primus inter Pares. Höchstens.
Frühstart: Bereits in der Nacht zu Dienstag flogen Farbeier an die Fassade der Nuntiatur am Südstern, wo der Papst nächtigen wird. "Wir haben kein Bock auf die sexistische und homophobe Scheiße", so ein Bekennerschreiben. Die Flecken wurden am Dienstag entfernt, der Staatsschutz ermittelt.
Morgens: Um 10.30 Uhr am Donnerstag landet Benedikt XVI. in Tegel. Papstgegner rücken ab 10 Uhr zur "Begrüßung" an.
Nachmittags: Nach Treffen mit Bundespräsident Wulff und Kanzlerin Merkel wird der Papst um 16.15 Uhr im Bundestag sprechen. Um 16 Uhr startet am Potsdamer Platz das Gegenprogramm. Motto: "Keine Macht den Dogmen". Zuerst werden Vertreter des 65 Gruppen starken Bündnisses sprechen. Dann gehts mit einer Demo über Unter den Linden zum Bebelplatz vor die Hedwigskathedrale.
Abends: Um 18 Uhr beginnt Benedikt XVI. seine Großmesse im ausverkauften Olympiastadion. Protest gibts wieder ab 20 Uhr: Mit einer Kundgebung vom "what the fuck"-Bündnis vor der Nuntiatur am Südstern, "für Hedonismus, gegen christliche Moral".
Abreise: Am Freitag trifft sich der Papst mit islamischen Geistlichen in der Nuntiatur, um 10 Uhr fliegt er von Tegel nach Erfurt, dem zweiten Stopp seiner Deutschlandreise.
Protest: Marsch durch die Institution
Vertreter: Kirche von unten, Wir sind Kirche
Die Queer-Fraktion
Sie bilden den zahlenmäßig stärksten Block: Vom CSD e. V. bis zur "Vereinigung lesbischer und schwuler Polizeibediensteter" wird seit Wochen zur Großdemo getrommelt. Ihr Antrieb: persönliche Betroffenheit. Dass der Papst als Wiederholungstäter gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Kondome und selbstbestimmte Liebe verdammt, sei nichts anderes als "Menschenfeindlichkeit", so das Credo. Kaum eine Instanz mache es Schwulen, Lesben und Transgender heute schwerer in der Welt. Komisch eigentlich: stehe doch der Papst der "größten, transnationalen Schwulenorganisation der Welt" vor.
Protest: Kiss-ins, Dildos Schwenken, GegenpäpstInnen
Vertreter: Lesben-, Schwulen- und Transgruppen aller Couleur
Die Parlamentarier
Heimlicher Höhepunkt der Deutschlandreise des Pontifex: die Rede im Bundestag, als erster Religionsführer überhaupt. Nicht bei allen Parlamentariern wird Joseph Ratzinger dabei auf offene Ohren stoßen. Etwa die Hälfte der 76 Linksfraktion-Mitglieder kündigt an, fernbleiben und lieber demonstrieren zu wollen. Bei Grünen und SPD könnten es bis zu einem Drittel sein. Auch Berliner Landespolitiker schließen sich dem Protest an. Ihre Kritik: Ein Papstauftritt im Bundestag ist unvereinbar mit der Neutralität des Staates. Noch dazu bei den menschenrechtlich zweifelhaften Positionen des Amtierenden. Und ohne Rückfragerecht des Parlaments. Selbst Berlin-Oberhaupt Wowereit kritisierte, dass die Kirche Lehren vertrete, "die weit in die zurückliegenden Jahrtausende gehören, aber nicht in die Neuzeit". Leere Ränge wirds im Bundestag dennoch nicht geben: Die Fraktionen wollen vakante Sitze mit Ex-MdBs auffüllen.
Protest: Sit-out
Berliner Vertreter: Klaus Lederer (Linke), André Rostalski (SPD Schwusos Landeschef) u. a.
Die Radikalen
"What the fuck?!", kommentiert die linksradikale Szene den Papstbesuch. Als Feindbild ist Ratzinger für sie ideal: "erzreaktionär", "sexistisch", "autoritär". Im Grunde aber nur Vertreter eines größeren, systemischen Übels: kein Staat, kein Vaterland - kein Gott! Flogen 1996 beim Papstbesuch von Johannes Paul II. noch Tomaten, umgeht Benedikt XVI. dies galant: Ein Bad in der Menge falle leider aus Zeitgründen aus, heißt es. Die Radikalos wollen trotzdem den Papst aufsuchen: mit einer Kundgebung morgens am Flughafen Tegel, abends vor der Nuntiatur am Südstern - und tagsüber "mit kreativen Aktionen" in der Stadt.
Protest: Eier und Wasserbomben
Vertreter: Antifa-Projekte von Fels bis zur Köpi
Die Fiskalen
Beim Papstbesuch vor Kurzem in Spanien eine echte Macht, hier eher in der Minderheit: die Steuergeldzähler. Diese addieren schon heute, was das päpstliche Besuchsprogramm an Kosten verursacht: Straßensperrungen, Polizeigroßeinsätze, pipapo. Macht nach übereinstimmender Zählung von Kirche und Kritikern rund 30 Millionen Euro. Auch wenn einen Teil die Kirche trägt: All dies für das Oberhaupt eines absolutistischen Winzstaates in Italien - wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit?
Protest: Taschenrechner
Vertreter: überall dabei
Die Humanisten
Tummelplatz der Atheisten. Gott ist tot, da brauchts keinen Papst. Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte für alle - mit Ratzinger, der die "Diktatur des Relativismus" predigt, nicht zu machen. Zum Beispiel, wenn die Kirche in ihren Sozialeinrichtungen Betriebsräte behindere und Abweichlern (geschieden, homosexuell, nicht katholisch) mit Kündigung drohe. Oder wenn Ratzinger Holocaustleugner aus der Fundi-Riege (Pius-Brüder!) wieder in die Runde der Schäfchen zurückhole. Auch beliebt: der historische Fingerzeig. Inquisition und ausbleibende Kritik von Papst Pius XII. an den deutschen NS-Gräueln.
Protest: Kraft der Argumente
Vertreter: Humanistische Verbände, Bund der Konfessionslosen und Atheisten, Naturfreunde, Amnesty International
Die Anwohner
Politisch unverdächtig, aber Prototyp des "Not in my Backyard"-Protestlers. Angesiedelt rund ums Olympiastadion (Papst-Großmesse) und den Südstern (Papst-Nachtstätte) ist diese Gruppe zum Hausarrest verdammt: Solange der Papst in der Nähe ist, müssen die Anwohner Fenster geschlossen halten, dürfen nur mit Ausweis ins und außer Haus. Sicherheitsstufe 1 für Benedikt XVI.! Das sorgt für stickige Luft und schlechte Stimmung.
Protest: Grummeln
Vertreter: Westend- und Südstern-Anrainer
Die Gesichtslosen
Betroffene von Missbrauchsfällen in der Kirche rufen zu einem "Block der Gesichtslosen" in der Großdemo auf. Weiße Masken gegen eine immer noch schleppende Aufarbeitung, gegen "Ducken und Wegschauen", gegen halbherzige Entschuldigungen. Bereits um 12 Uhr wollen rund 500 frühere Heimkinder vorm Brandenburger Tor schweigen und beten: "Für alle, die nicht das Wort ergreifen können, weil sie lebenslang durch den Missbrauch geschädigt sind."
Protest: stilles Mahnen
Vertreter: Bundesinitiative Kinder im Heim, Augen Auf, Wildwasser, Tauwetter
Die Feministinnen
Abtreibungen tabu, Kondome moralisch verwerflich? Debatten von gestern, winkt der Block der Frauenrechtler ab. Nur der Papst hat offenbar noch nicht mitbekommen, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eine universelle Angelegenheit ist. Immerhin: Bei der Gelegenheit kann auch noch mal dem Staat auf die Finger geklopft werden. Schließlich sind Verhütungsmittel immer noch zu teuer und die "Pille danach" nicht rezeptfrei.
Protest: Kondome (aufblasbar!)
Vertreter: pro familia, terre des femmes
Die Promis
Nicht eindeutig einzuordnen, aber dabei: Regisseur Rosa von Praunheim, Comiczeichner Ralf König, Kabarettistin Gabi Decker. Und der Berliner Ensemble-Chef Claus Peymann lässt am Donnerstag den "Stellvertreter" von Hochhuth aufführen - natürlich mit Einladung an "Seine Heiligkeit".
Protest: Gesicht hinhalten
Vertreter: siehe oben
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu