berliner szenen: Typ mit weißer Lederjacke
Am Nachmittag war es viel angenehmer im Behandlungsstuhl, als im Bett zu liegen. Der Baustellenlärm im Mund verdrängte die anderen Beschwerden. Erleichtert sage ich danach die Verabredung wieder zu, die ich am Vormittag abgesagt hatte. Wir sind am U-Bahn-Ausgang Mehringdamm verabredet. Es ist viertel vor acht. Sie wird später kommen.
Auf einer Bank sitzt ein schlanker Mann mit Fritz-Zitronenlimo. Entspannt beobachtet er die Szenerie. Leute kommen aus dem U-Bahn-Eingang, Fußgänger gehen vorbei. Auf der anderen Straßenseite der bekannte Gemüsekebab. Ich stehe vor dem Schaufenster eines Schreibwarenladens und überlege, ob ich farbiges Schreibpapier gebrauchen könnte.
Ein Mann mit weißer Lederjacke stromert um den U-Bahneingang. Er wirkt so, als wäre das sein Revier. Er hat registriert, dass ich schon eine Weile hier stehe, und ich habe registriert, dass er mich beobachtet. Er geht an mir vorbei und zischt einen Satz mit „Penner“, den ich ignoriere. Zehn Minuten später macht er ein junges Pärchen an, das gerade aus dem U-Bahn-Ausgang kommt. Die Frau gibt kontra, er geht auf sie zu, ihr Freund, anderthalb Köpfe größer als der Aggrotyp, stellt sich dazwischen. Aggro ruft „Fotze“, die Frau antwortet; ihr Freund fährt seinen Arm wie eine Schranke aus und behält den anderen im Blick, während sie langsam weitergehen. Ein paar Leute beobachten die Szene. Mein Handy piepst.
Dann ist der Typ mit der weißen Lederjacke weg. Ein paar Minuten später steht er bei den Büschen am Rande des Fahrradwegs und redet auf einen robusten Stadtreiniger ein, der ein bisschen an Wachtmeister Krause erinnert. Ich gucke auf mein Handy, S. schreibt, sie kommt gleich, und als ich wieder nach oben guckte, ist der Typ mit der weißen Lederjacke verschwunden.Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen