#Twittersperrt vor der Europawahl: Satire verboten
Twitter äußert sich im Bundestag zu Accountsperrungen und verteidigt die Löschung von Satire. Eine rechte Kampagne scheint naheliegend.
Klar ist nur: Zurückzuführen sind die Sperrungen auf eine neue Funktion, mit dem seit dem 29. April vermeintliche Desinformationen gemeldet werden können. Twitter, Facebook und Google hatten kurz zuvor anlässlich der anstehenden Europawahl einen freiwilligen „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ der EU-Kommission unterzeichnet. Die Unternehmen wollen so einer gesetzlichen Regulierung zuvorkommen. Auch deshalb wird wohl mehr gesperrt als unbedingt nötig.
Mehr Fragen sollte die Sitzung des Bundestagsausschusses Digitale Agenda am Mittwoch beantworten. Dort war Nina Morschhäuser von Twitter eingeladen, um die Sperrpolitik des Kurznachrichtendiensts zu erklären. Der Antrag auf Öffentlichkeit der Sitzung durch die anwesenden FDP-Abgeordneten wurde von den Regierungsfraktionen abgelehnt.
Die Nichtöffentlichkeit begründet Tankred Schipanski, Sprecher für Digitale Agenda der Unionsfraktion, auf Nachfrage der taz mit „dem sachlichen Austausch von Argumenten und einer konstruktiven Arbeit sowie Arbeitsatmosphäre im Ausschuss“. Die taz sprach zudem mit mehreren Sitzungsteilnehmern.
Unklare Trennlinie
Die erzählen: Twitter habe während der Sitzung erklärt, dass für die Sperrungen nicht fehlerhafte Algorithmen verantwortlich sind, sondern Irrtümer von Mitarbeitern. Die Teams seien nachgeschult worden. Grundsätzlich hätten die Löschteams „so viel Zeit, wie sie brauchen“, um eine Entscheidung zu treffen. Von den Facebook-Löschzentren ist bekannt, dass dort viele Entscheidungen in 8 bis 30 Sekunden getroffen werden.
Zudem habe Morschhäuser verteidigt, dass satirische Tweets über Wahlen gelöscht werden, wie etwa die Aufforderung an AfD-Wähler, den Stimmzettel zu unterschreiben. Da weder Twitter noch die Nutzer feststellen könnten, ob eine satirische Äußerung verstanden wird, würde diese verboten werden. Dies sei auch eine Lehre aus den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Um der Löschung zu entgehen, müsse in der sogenannten „Biografie“ des Accounts explizit erklärt werden, dass es sich bei den Inhalten um Satire handelt.
Nachfrage bei Anne Roth, die als Referentin für Netzpolitik bei der Linksfraktion im Bundestag arbeitet. Sie meint: „Die Trennung zwischen zulässiger politischer Auseinandersetzung und nicht zulässiger Satire ist bei der Twitter-Richtlinie völlig unklar. Deshalb wird es auch weiterhin nicht nachvollziehbare Accountsperrungen geben. Diese Praxis ist völlig aus dem Ruder gelaufen.“
Sie habe Schilderungen von weit über 100 Nutzern erhalten, als sie in einem Tweet nach Berichten über Accountsperrungen fragte. „Viele wollen sich in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit nicht von einem Unternehmen vorschreiben lassen, was sie schreiben dürfen und was nicht.“
Rechte feiern sich
Es gebe „ganz offensichtlich eine organisierte rechte Kampagne, bei der zur massenhaften Meldung von Tweets und Accounts mit anderen politischen Haltungen aufgerufen wird“. Tatsächlich gibt es zahlreiche Accounts, auf denen sich Rechte für erfolgreiche Meldungen feiern. Auch die vorübergehende Sperrung der Jüdischen Allgemeinen wird dort triumphierend hochgehalten. „Wird der Algorithmus womöglich von rechten Accounts manipuliert? Geht es um Zensur? Twitter schweigt. Keine Reaktion. Nachfragen bleiben unbeantwortet“, kritisiert der Chefredakteur der Wochenzeitung.
Twitter hatte dazu im Digitalausschuss nicht viel beizutragen. Das Unternehmen könne über die politischen Haltungen der Melder nichts sagen, berichten Sitzungsteilnehmer. Allerdings gebe es in Deutschland zehnmal so viele Meldungen wie in anderen europäischen Ländern. Und: Eine große Zahl der Meldungen beziehe sich auf satirische Tweets, in denen AfD-Wähler zur Unterschrift unter den Stimmzettel aufgefordert werden – die Stimmabgabe würde dadurch ungültig werden. Beispielsweise der Rechtsanwalt Thomas Stadler wurde in der vorvergangenen Woche für diesen Witz vorübergehend auf Twitter gesperrt. Der entsprechende Tweet war bereits drei Jahre alt. Hinweise auf eine Organisierung der Meldenden gibt es also durchaus.
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