Twitter in Brasilien: Unfalltote im Datenvekehr
Brasilianische Nutzer warnen in Brasilien über Twitter vor Verkehrskontrollen. Nun drohen dem Online-Netzwerk empfindliche Strafen.
"Vermeiden Sie Unfälle - Fahren Sie verantwortungsbewusst", mit diesem Banner begrüßt die Webseite des brasilianischen Verkehrsministeriums seine Besucher. Die Kampagne mit Verkehrsschulungen, Werbespots und verstärkten Kontrollen auf den Straßen des Landes ist auch dringend nötig.
Wenn es um den Straßenverkehr geht, zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Brasilien zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Jährlich sterben bald 40.000 Menschen bei Unfällen, das sind knapp 20 je 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es im selben Zeitraum gerade mal 6.
Die brasilianische Regierung unternimmt in Kooperation mit der WHO ernsthafte Anstrengungen, die teilweise chaotischen Zustände auf den Straßen des Landes beherrschbar zu machen. Kontrollen in den Großstädten zeigen, dass nicht nur viele alkoholisierte Fahrer eine Gefahr sind. Regelmäßig sind die Hälfte der Autofahrer gleich ganz ohne Führerschein unterwegs.
Führerscheinprüfungen mit landesweit einheitlichen Anforderungen gibt es nicht. Wer den Schein bezahlt, bekommt ihn in aller Regel auch. Die Laxheit im Umgang mit der Verkehrssicherheit geht so weit, dass Kandidaten für politische Ämter bisweilen Stimmen mit der kostenlosen Verteilung von Führerscheinen einwerben.
200.000 Euro Strafe?
Angesichts dieser Umstände ist es nur zu verständlich, dass den brasilianischen Behörden Twitteraccounts wie Lei Seca RJ ein Dorn im Auge sind. Über 280.000 Menschen haben die Kurznachrichten des Service abonniert, die im Minutentakt vor Verkehrskontrollen warnen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Brasiliens versucht nun, vor einem Bundesgericht durchzusetzen, dass Twitter die entsprechenden Accounts sperrt. Bei fortgesetzten Blitzerwarnungen soll das Netzwerk gut 200.000 Euro Strafe bezahlen - und zwar täglich, wie die Nachrichtenagentur O Globo meldet.
Dem nachvollziehbaren Interesse, wirksame Verkehrskontrollen durchführen zu können, steht jenes des Kurznachrichtendienstes gegenüber. Der dürfte sich einer steigenden Zahl solcher "nachvollziehbarer" Anfragen ausgesetzt sehen und ziemlich schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen, sollte er dazu verurteilt werden, Inhalte des Dienstes permanent auf Rechtsverstöße zu scannen.
Vorauseilende Anbieterhaftung
Diese vorauseilende Anbieterhaftung für von den Benutzern eingestellten Inhalte konnten auch Facebook und Google bislang weitgehend von sich weisen. Sollten westliche Internetdienste jedoch planen, sich dauerhaft z.B. am chinesischen Markt zu platzieren, werden sie nicht umhin können, entsprechende Mechanismen einzubauen.
Der brasilianische Fall ist neben den aktuell in Indien ausgedehnten Sperranforderung insofern nur ein weiterer Test, wie weit sich die Dienste, in diesem Falle Twitter, den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen unterwerfen, sich im Geschäftsinteresse also zu arrangieren bereit sind.
Dass die Redefreiheit dabei Verhandlungsmasse ist, hat Twitter bereits vor einigen Wochen erklärt, als mit Blick auf zu erwartende regionale Sperren erklärt wurde, dass in anderen Ländern eben "andere Vorstellungen vom Umfang der Redefreiheit" herrschten, denen man sich anpassen wolle.
Markus Beckedahl, Sprecher der „Digitalen Gesellschaft" erklärt zum konkreten Anlass, dass derartige Sperren eine Schnapsidee seien. "Man kann Menschen Kommunikation nicht untersagen, solange man sie nicht in ein Gefängnis steckt." Die WHO verweigerte der taz jeden Kommentar mit dem Hinweis darauf, dass es sich um eine Regierungsangelegenheit handele, zu der seitens der Organisation keine offizielle Position bezogen werden könne oder solle.
Noch ist der Streit in Brasilien nicht entschieden. Vielleicht ergeht es den Blitzer-Warnern auf Twitter ähnlich wie den deutschen Formatradios, die hierzulande vom Radarfallenwarnverbot ausdrücklich ausgenommen sind, da die Polizei zu der Auffassung gelangt ist, dass diese Meldungen für das Thema sensibilisierend und damit die Verkehrssicherheit fördernd wirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich