Twitter-Offensive der Berliner Polizei: Wir müssen reden
Die Berliner Polizei will mithilfe eines eigenen Social-Media-Teams nahbar, transparent und gemocht werden. Wird es doch noch Liebe sein?
„Tatort Museum: Kulturaffine Touristen treffen auf geldbörsenaffinen Dieb.“ Oder: „War es ein Anti-Biotika? Lila Handtasche einer Biomarkt-Verkäuferin in #XBerg aus Fahrradkorb entwendet.“ So sehen Twittermeldungen der Polizei Berlin aus. Von Amtsstubendeutsch oder Formulierungskopfständen ist das weit entfernt. Der Ort, an dem diese ungewohnte Kommunikation der Berliner Polizei mit der Online-Community entsteht, wirkt nicht so, als würde hier Kreativität freigesetzt.
Berlin Tempelhof, Platz der Luftbrücke, beinahe ganz am Ende eines langen Korridors befinden sich die Büroräume des fünfköpfigen Social-Media-Teams der Berliner Polizei. Schreibtisch, PC, hier eine Topfpflanze, dort der selbstironische Zeitungsausschnitt. Es riecht nach Kaffee. Neben einem Facebook-Profil und einem Dauerkanal auf Twitter (@polizeiberlin) betreiben die Beamten hier einen Einsatzkanal (@PolizeiBerlin_E). Auf Letzterem verbreiteten sie Mitte September unter #pickpocket zehn Tage lang die Taten von Taschendieben.
„Ein unbestellter Acker“
Am großen Tisch im Konferenzzimmer sitzt Teamleiterin Yvonne Tamborini. Die 47-Jährige trägt Jeans und Shirt, sieht eher aus wie Mitte dreißig und zollt mit ihrer kantigen Hornbrille der Zielgruppe Tribut, die sie mit ihrer Arbeit erreichen will: Jugendliche, potentieller Polizeinachwuchs, Medienvertreter. Tamborini ergreift sofort das Wort, wie noch oft während des Gesprächs. Sie klingt sicher und genau, fast hart. „Die sozialen Medien waren lange für die Polizei ein unbestellter Acker“, sagt Tamborini. „Ein Acker, den wir jetzt so richtig bestellen wollen.“ Die konkreten Ziele? Bürgernähe, Nachwuchsgewinnung und Aufklärung der Bevölkerung. Das Mittel: „So transparent wie möglich über die sozialen Medien an die Bürger herantreten und informieren, erklären und Empfehlungen aussprechen“, sagt die Beamtin.
Schon lange bevor Polizisten wie Tamborini die digitale Gemeinschaft über kriminelle Taten in Tweets wie: „Rempelnder Rolltreppentäter ringt reisendem türkischen Touristen am Regionalbahnhof Reisekasse ab“ aufklärten, gab es im Ausland polizeiliche Onlineaktionen, die auf breites Interesse stießen. Vor allem Beamte in den Niederlanden und Großbritannien machten früh vor, wie sich durch die Nutzung der Kommunikationsplattformen größere Bürgernähe schaffen, aber auch Zeugen suchen oder Ermittlungshinweise sammeln lassen.
Bekannt wurde auch der getwitterte Fahndungsaufruf amerikanischer Behörden eines sehr attraktiven Räubers – dem Mann wurde daraufhin ein Modelvertrag angeboten. Inzwischen holen auch in Deutschland die Polizeipräsidien im Bereich Internetpräsenz auf, etliche Polizeibehörden sind auf Facebook oder Twitter unterwegs, doch das Team um Tamborini sieht die Polizei Berlin als Vorreiter.
In morgendlichen Runden werden die Themen für den Tag besprochen, bei größeren Veranstaltungen wie Demonstrationen steht das Team dann in Kontakt zu den Beamten vor Ort. „Sozusagen die Lagebesprechung 2.0“, sagt Monique Pilgrimm, eine Social-Media-Kollegin Tamborinis. Der Spaß daran liegt für die 38-Jährige im Kreieren der Tweets – gern mit Alliterationen und Reimen.
Es gibt auch Kritik
Allerdings gibt es, trotz all der neuen, so gar nicht spießbürgerlichen Polizeikommunikation, die hier so locker lustig reformiert wird, auch Dinge die sie und das Team stören. Nämlich: Es allen Recht machen zu müssen. „Die Persönlichkeitsrechte sind in Deutschland viel stärker ausgebildet als anderswo. Deshalb wird unsere Arbeit ganz besonders unter die Lupe genommen“, sagt Pilgrimm.
In einer schriftliche Anfrage der Linken beim Abgeordnetenhaus im vergangenen Juni heißt es zwar: „Das Social-Media-Team fotografiert keine Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer und stellt keine personenbezogenen Daten ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen in die sozialen Medien.“ Doch die Follower sind kritisch. Moniert werden da jene Fotos, die ihr Team direkt nach Festnahmen postete.
Hinter dem Rücken in Handschellen gefesselte Hände sind darauf zu sehen, aber auch die Kleidung der Festgenommenen, die Hautfarbe. Da meckert Nutzer @BackCath: “Liebe Polizei Berlin, ich brauche keine Bildbeweise von Menschen in Handschellen, damit ich weiß, dass Sie arbeiten.“ Und @BrunoKausche kontert: „Doch, bitte mit Porträtaufnahme. Haben’s verdient. Die beklauen sogar Behinderte & Alte, wenn du die Tweets verfolgst.“
Für das Berliner Polizeiteam im Online-Einsatz sind diese Bilder schon ein Kompromiss, wie sie sagen. Zeigen die Bilder doch nur einen Ausschnitt der Opfer, keine Gesichter, keine Ganzkörperaufnahmen. Die Nutzer seien „in dem Punkt der fotografischen Darstellung von Tätern wohl sehr empfindlich“, sagt Tamborini.
Sie argumentiert wie eine Unternehmerin, der es in erster Linie darum geht, die Kunden, in diesem Fall die Nutzer, in ihrem Bedürfnis nach Unterhaltung zufriedenzustellen: „Die Meinung der Community ist uns wichtig.“ Auch stellt die Polizistin klar: „Das mit den Fotos haben wir deshalb geändert. Statt dem Täter haben wir die Beute gezeigt, da war die Skepsis in den Kommentaren auch nicht so groß.“ Diese Reaktion passt gut in den Versuch der Polizei, eine neue Beziehung zwischen Behörde und Bürger zu schaffen – und Nutzer @OssiMarzahn kommentiert: “Verstehe, Maulkorb von oben! Trotzdem, gute Arbeit, weiter so!“
Matthias Monroy sieht das anders. Er ist Mitarbeiter des Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Experte für die technologische Aufrüstung von Polizei und Militär. „Dies ist alles ein Versuch der Polizei, die Informationshoheit über Sachlagen zu gewinnen“, sagt er.
„Durchaus manipulativ“
Monroy sieht darin eine Gefahrenquelle. „Die Polizei nutzt Twitter als Werkzeug für die Durchführung von Polizeimaßnahmen – das ist die kritische Grenze“, sagt er. „Selbst Tweets wie ‚Die Versammlung ist nicht genehmigt‘, oder ‚Die Versammlung ist beendet‘ sind durchaus manipulativ. Da wird auf das Versammlungsrecht Einfluss genommen und für mich hat das nichts mehr mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun.“ Er plädiert für mehr Skepsis: „Wir müssen da hellhörig werden. Getwitterte Fotos verstärken die Tendenz der Manipulation, Bilder von Handschellen ja noch mehr. Aber auch Überblickaufnahmen von Demonstrationen, wo nur ein Teil der Demonstranten gezeigt werden – andere nicht.“
Es ist eine Gratwanderung. Die Polizei versucht gerade, die Wandlung vom biederen Ordnungshüter zum sympathischen Freund und Helfer. Klappt das über die Nutzung der Web-Kommunikationskanäle? Den Polizistinnen am Konferenztisch traut man es zu, weil sie durch ihre Tweets Gutmütigkeit suggerieren.
Da sich Aktionen wie #pickpocket jedoch noch in der Auswertungsphase befinden, können die Beamtinnen über die Effektivität ihrer Maßnahmen aber nicht viel sagen. Allerdings folgen ihnen auf dem Twitter-Dauerkanal schon rund 56.000 Nutzer. Auf dem Einsatzkanal sind es sogar 73.000. Doch wo ist die Grenze für Tamborinis Team? Für Follower @Valentin_Marcus ist die klar gezogen: “Solange Bushido aus euren Tweets keinen Song komponiert, ist alles in Butter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!