Turbine Potsdam ist Deutscher Meister: Jubel erst fünf Minuten nach Abpfiff
Turbine Potsdam entscheidet das engste Bundesligafinale aller Zeiten für sich. Weil Bayern München in der Nachspielzeit des Parallelspiels kein Tor mehr gelingt, wird Turbine Frauenfußballmeister.
Es war eine reichlich surreale Situation. Turbine Potsdam hatte sein letztes Bundesligaspiel am Sonntagnachmittag bereits mit 3:0 gewonnen. Doch da Bayern München, der härteste Konkurrent um die deutsche Meisterschaft, ebenfalls 3:0 in Crailsheim führte und noch fünf Minuten zu spielen hatte, wie der Stadionsprecher mitteilte, konnten sich die Brandenburgerinnen nicht feiern lassen. Ein einziges Tor in der Ferne hätte gereicht, um die sich anbahnende Freude in Tränen zu verwandeln. Die Turbine-Spielerinnen standen auf dem Platz, verbargen ihre Gesichter immer wieder in ihren Händen. Die Spannung war kaum zu ertragen. Dann kam endlich die erlösende lauthals gebrüllte Nachricht. "Der deutsche Meister 2009 heißt Turbine Potsdam." Und die Sektkorken knallten.
"Alle, die mit dem Titel für Potsdam rechnen, sind fern aller Realität", hatte Turbine-Trainer Bernd Schröder noch vor der Partie gesagt. Und genau so schienen sich seine Spielerinnen kurz vor 16 Uhr zu fühlen - fern aller Realität. Das engste Finale der Bundesligageschichte hatten die Potsdamerinnen für sich entschieden. Völlig entrückt stemmte die überglückliche Spielführerin Jennifer Zietz die Schale in die Höhe.
Vor dem Spiel hätten die Turbine-Vertreter das Silberstück am liebsten versteckt. Statutengetreu hatte der Deutsche Fußball-Bund das Original am letzten Spieltag zum Tabellenführer bringen lassen. Für die Brandenburgerinnen aber hatte die Gegenwart der Schale wohl etwas Dämonisches.
Denn ausgerechnet der FCR Duisburg, der vergangenen Sonntag noch die Potsdamerinnen im Pokalendspiel mit einem historischen 7:0-Sieg demütigte und sie an ihrem Unvermögen verzweifeln ließ, hatte die Erniedrigten letzten Mittwoch an die Spitze gebracht - mit einem 4:0 beim bisherigen Tabellenführer Bayern München. So führte Turbine am Finaltag das Klassement nur wegen der um einen Treffer besseren Tordifferenz an - vor den Münchnerinnen. Duisburg rückte jedoch ebenfalls bis auf einen Punkt heran, weshalb Potsdam plötzlich sogar um die Teilnahme an der Champions League zittern musste.
Vom notwendigen Wettschießen um die Meisterschaft war im Vorfeld die Rede gewesen. Doch zählenswert waren nach einer halben Stunde lediglich die fünf Gelben Karten, welche die Spielerinnen beider Mannschaften zu Gesicht bekamen. Ein Ausdruck der Verkrampftheit, die dieses Spiel in der ersten Halbzeit prägte. Erst ein Elfmetertor in der 45. Minute brach den Bann. Jennifer Zietz verwandelte für Turbine sicher. Die bis dahin eher schläfrigen 2.516 Zuschauer sorgten von nun an für Stimmung. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass die Konkurrenten bis dahin torlos geblieben waren.
Die 17-jährige Tabea Kemme (56.) sowie Anja Mittag (62.) erhöhten getragen von der Euphorie den Spielstand auf 3:0. Potsdam schien auf dem sicheren Weg zum dritten deutschen Meistertitel - bis zur Kunde von der 3:0-Führung der Bayern.
So einmalig der fußballerische Kollaps der Potsdamerinnen im Pokalfinale war, so einmalig ist jetzt auch ihre Wiederauferstehung. Der deutsche Frauenfußball hat einiges von seiner eintönigen Berechenbarkeit verloren. Wohl kaum einer hätte gedacht, dass München beim Tabellenletzten Crailsheim den dürftigen Potsdamer Vorsprung nicht aufholen würde.
Deutscher Meister ist nun ein Team mit geradezu kükenhaftem Durchschnittsalter von nur 20,4 Jahren geworden, das vor der Saison keiner der Experten unter den ersten drei vermutet hätte. Ein Team, dessen Labilität erst beim Pokalfinale ein großes Publikum vor Augen geführt bekam. Trainer Schröder erklärte zum Abschluss launig: "Ich kann es gar nicht fassen. Nach der Schmach von letzter Woche habe ich mich kaum aus dem Haus getraut. Jetzt weiß ich nicht, ob wir die Nacht überleben."
DER TRAINER VOR DEM SPIEL
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