■ Tun und Lassen: Klogespräche
Darf man sich auf öffentlichen Toiletten durch die Klotür unterhalten? Zugegeben: Bis mir ein Autor kürzlich auf die gemischtgeschlechtliche taz-Toilette folgte und mit mir – ich in der Kabine, er im Vorraum – weiterdiskutieren wollte, war mir das feine Regelwerk, das an diesem Ort gilt, nicht wirklich bewußt.
Denn heutzutage brechen die Damen längst nicht mehr automatisch zum gemeinsamen Toilettengang auf. Die Gespräche beschränken sich meiner Erfahrung nach hauptsächlich auf eine Kurzkritik der vorgefundenen hygienischen Verhältnisse und auf Minimaldialoge wie: „Wartest du auf mich?“ – „Klar.“ Das Äußerste sind kurze Anmerkungen zum gerade gesehenen Film oder zur Qualität des Restaurants. Regelrechte Gespräche mit Rede und Gegenrede finden für gewöhnlich nicht statt.
Während die Herren am Urinalbecken umstandslos beieinanderstehen und vorgeblich über alles mögliche plaudern, ist unsereins ja kabinenmäßig voneinander getrennt – eine Raumerfahrung, die den oben beschriebenen Standard offensichtlich prägt. Da man seine Gesprächspartnerinnen nicht sieht, hat sich eine durch äußerste Vorsicht geprägte Redepraxis durchgesetzt. Nichts ist schließlich beschämender, als vor fremden Personen Vorträge zu halten, nichts irritierender, als sich bei einem einsam hallenden Monolog zu ertappen. Gleichzeitig wünscht man während der intimen Verrichtungen keine allzugroße Nähe und für Geräusche und Gerüche keine Zeugenschaft.
Für Erwachsene gelten deshalb auf öffentlichen Toiletten grob gesagt die gleichen archaischen Gesetze wie im Fahrstuhl – wobei es hier natürlich nicht darum geht, wer wen zuerst grüßt. Das tut man auf öffentlichen Toiletten nicht, sondern schaut eher diskret aneinander vorbei, macht – mit häufig eilfertiger Scheu – Platz am Handwaschbecken oder hält verschwörerisch lächelnd die Kabinentür offen. Aber wie im Lift haben die in der Kabine die Definitionsmacht. Schon weil sie sich – sitzend – in der schwächeren Position befinden, müssen allein sie bestimmen dürfen, wann und worüber geprochen wird. Oder ob überhaupt gesprochen wird. Denn im Zweifelsfall sind sie es, die unter Druck stehen. Der sich – ungünstigstenfalls – auf die Stimmlage übertragen könnte.
Zusammenfassend halten wir also fest: Ratsam bleibt ein beschränkter Austausch kurzer Informationen; Fragen dürfen in beiden Richtungen nur zwischen sehr guten Bekannten gestellt werden, ansonsten gilt die Faustregel: Gefragt wird immer von innen nach außen; gleiches gilt grundsätzlich auch für komplexe Themenangebote. In gemischtgeschlechtlichen Toiletten und beim Ausweichen zu den Herren wegen Schlangenbildung bei den Damen gilt jedoch – außer für Paare – absolutes Redeverbot. Elisabeth Jean
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