Tumult beim AfD-Parteitag: Vor lauter Zwist kaum Populismus
In Schleswig-Holstein hat die AfD eine neue Landesführung gewählt. Interne Streitereien und persönliche Anfeindungen bestimmten den Parteitag.
HENSTEDT-ULZBRUG taz | In welchem Zustand die AfD in Schleswig-Holstein ist, offenbarte die Partei bereits direkt beim Auftakt ihres Landesparteitags. Kaum war der am Samstag gestartet, wurde er auch schon gestoppt. Der Noch-Landesvorsitzende Thomas Thomsen hatte die Gäste gerade begrüßt, da erfolgte ein Geschäftsordnungsantrag: Der Parteitag sei weder formal noch fristgerecht einberufen worden, erklärte Nico Gallandt, Kreisvorsitzender des Herzogtums Lauenburg. Am Ende des Tages sollte Thomsen dann den Saal unter Prostest verlassen haben und stattdessen eine neue Doppelspitze gewählt worden sein.
Bis es dazu kam, war auch der weitere Verlauf des Parteitags von internen Querelen und Streitigkeiten geprägt. Inhalte spielten kaum eine Rolle.
Über 200 Gäste waren ins Bürgerhaus in der Gemeinde in Henstedt-Ulzburg im Kreis Segeberg gekommen – überwiegend Männer mittleren und höheren Alters. An den Tischreihen und auf den Stühlen, die zusätzlich aufgestellt werden mussten, kam bereits am Anfang Verwunderung und Verärgerung über die Unterbrechung auf. Aus zehn Minuten, die der Landesvorstand mit Bundesvorstandsmitgliedern über den Geschäftsordnungsantrag beraten wollte, wurden 40. Pfiffe und Rufe drangen durch den Saal, die meisten Mitglieder harrten aus, manche bei der Lektüre der neu-rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“.
Darüber geeinigt, ob zum Parteitag nun rechtens geladen worden war, hat man sich nicht. Fortgesetzt werden sollte er aber dennoch: „Wenn wir schon mal hier sind, dann ist es besser, das hier durchzuführen“, sagte Thomsen.
Seit Monaten haben interne Auseinandersetzungen den Landesvorstand bestimmt. Ein Richtungsstreit? „Nein“, sagte Achille Demagbo, Beisitzer im Landesvorstand, im Saal des Bürgerhauses der taz. „Es geht um die Kommunikation.“ Kein Streit darüber, ob man sich so weit rechts positionieren wolle wie die Fraktion in Thüringen und Sachsen-Anhalt, und nicht einmal im Flur sprach man am Samstag die Ansage von den AfD-Bundesvorstandsmitgliedern Alexander Gauland und Beatrix von Storch, einen radikalen Anti-Islam-Kurs einschlagen zu wollen.
Einen der wenigen Hinweise auf die inhaltliche Ausrichtung der AfD und ihr Verhältnis zur Pressefreiheit lieferte ein Zettel auf dem Anmeldetisch: Eine „Sperrliste“ nannte sieben Namen unerwünschter Journalisten und Autoren – von der taz über tagesschau.de bis zur FAZ.
Einzig Bundesvorstandsmitglied Armin-Paul Hampel hatte im Saal des Bürgerhauses noch versucht, für gute Stimmung zu sorgen. Die erfolgreichen Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pflalz und Sachsen-Anhalt sollten ermutigen „im Norden“ nicht hintan zu stehen. Die AfD sei gerade erst drei Jahre alt. „Wir stecken noch in den Kinderschuhen, wir haben keinen professionellen Unterbau“, sagte Hampel. Auch Kompromissfähigkeit müsse erlernt werden, sagte er unter großem Applaus, der noch lauter wurde, als er sich gegen die Grünen wandte: Bei denen sei die Berufsplanung „Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal“, sagte Hampel.
Bis zum Antrag zur Wahl des Vorstands kam es dann erneut zum Eklat. Noch-Landesvorstand Thomsen hatte keinen Tätigkeitsbericht abgeben können, da es keine positiven Tätigkeiten des Vorstandes gab.
Nach wiederholten persönlichen Vorwürfen, zu denen Thomsen sich nach Schließung der Debatte nicht mehr äußern konnte, verließ er mit Anhängern unter Protest den Saal – noch vor der Neuwahl. Auf den Tischen fanden die Gäste auch einen Brief der Bundesvorsitzenden Frauke Petry, im dem sie Thomsen die „Vertraulichkeit“ absprach.
Mit großem Zuspruch bestimmten die Mitglieder schließlich Bruno Hollnagel, 68 Jahre, und Jörg Nobis, 40 Jahre, zur gleichberechtigten Doppelspitze. Hollnagel, Unternehmer im Ruhestand, erhielt 162 von 180 abgegeben Stimmen, Nobis, Kapitän, 148 von 188. Ergebnis eines Parteitags, gegen das ein Mitglied bereits ankündigte, gerichtlich vorgehen zu wollen.
Die neue Spitze gab sich indes sogleich kämpferisch: Nobis zielte in Richtung des SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner und sagte: „Geben Sie mir Feuer, und wir werden Herrn Stegner in der Pfeife rauchen.“
Gewählt wird in Schleswig-Holstein im Mai 2017. Einer Forsa-Umfrage zufolge liegt die AfD dort bei neun Prozent, gegenüber 14 Prozent im Bundesdurchschnitt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen