Türkiyemspor in der Krise: Fußball als Utopie
Der Kreuzberger Klub Türkiyemspor ist finanziell und sportlich abgestürzt. Zuletzt gab es auch noch Homophobie-Vorwürfe gegenüber dem Vorstand.
Bis zu einem bestimmten Punkt verläuft diese Geschichte wie ein Märchen. Da ist dieser kleine Stadtteilklub aus Kreuzberg, entstanden 1978 aus einer Freizeitmannschaft. Der Verein, überwiegend aus türkischen Migranten bestehend, kämpft sich durch die Niederungen des deutschen Amateurfußballs bis fast in die Profiligen vor. Türkiyemspor, so der Name dieses Märchenklubs, wird zur Legende. Ende der Achtziger Jahre spielt das erste Männerteam vor mehr als 10.000 Menschen, läuft Hertha BSC und Tennis Borussia den Rang ab. Türkiyemspor ist damit der berühmteste deutsche Migrantenklub.
Nicht nur das. Gleichzeitig wird der Verein zum Synonym für das Leben in Kreuzberg, für einen Gesellschaftsentwurf des solidarischen Nebeneinanders vieler verschiedener ethnischer und sozialer Gruppen. „Türkiyem“, so die Kurzform des Vereinsnamens, nutzt die integrative Kraft des Sports und des Fußballs, um das zu tun, wofür ein Verein dem Wortsinne nach da ist: zu vereinen.
Denn die wahre Stärke des Klubs zeigt sich dann, als in den Neunzigern und in den Nullerjahren der sportliche Erfolg ausbleibt. Gegenüber Anfeindungen und Hass – Diskriminierung und Auseinandersetzungen mit Nazis sind zeitweise für die Teams des Klubs Alltag – verteidigt man offensiv den alternativen Lebensentwurf.
Von außen wurden die Stärken des Klubs erst spät erkannt: Die Unterstützung für den Verein kam zunächst vor allem aus der Bevölkerung – in den Neunzigern auch von der Antifa. Der Berliner Fußball-Verband (BFV) hingegen behandelte den Klub lange stiefmütterlich: Noch bis vor fünf Jahren hatte Türkiyem keine eigene Sportanlage – so bestand die absurde Situation, dass ein inzwischen mit Integrationspreisen überhäufter Klub keine eigene Spielstätte hatte und ständig umziehen musste.
Dabei war Türkiyem längst zur gelebten sozialen Utopie geworden. Dieser Klub, der derzeit gerade mal 421 Mitglieder zählt und in dessen Geschäfts- und Vereinsführung es oft chaotisch zugeht, ist ein gesellschaftliches Phänomen. Hier spielen türkische wie kurdische und deutsche Kicker zusammen; insgesamt spielen mehr als 20 verschiedene Nationalitäten in den 26 Teams des Vereins. Evangelische wie katholische Christen, sunnitische wie alevitische Muslime. Junge linke Politaktivisten und gesetzte ältere Männer.
LSVD-Werbung auf Trikots
In allen Belangen der Integration gilt der Klub als vorbildlich: 2004 gründet er eine eigene Mädchen- und Frauenabteilung: Heute ist sie die größte, die es in einem migrantisch geprägten Klub in Deutschland gibt. Seit 2006 kooperiert Türkiyemspor mit dem mit dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD), ab 2013 wirbt das dritte Team des Klubs sogar auf Trikots mit dem Logo des Homosexuellenverbands. Und selbst, als der Verein 2011 insolvent war, dachte man sich: Das ist Türkiyem, die schaffen das schon irgendwie.
Seit mehreren Monaten aber bekommt die Heile-Welt-Fassade des Klubs mehr und mehr Risse. Der negative Höhepunkt ist im Oktober vergangenen Jahres erreicht. Nach einem Konflikt mit der LSVD-nahen dritten Mannschaft soll diese vom Spielbetrieb abgemeldet werden. Deren Vorwurf gegenüber dem Vorstand: homophobe Vorbehalte. Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD in Berlin-Brandenburg und Aufsichtsrat bei Türkiyemspor, tritt von seinem Posten zurück. Der Klub scheint gespalten zwischen konservativen und progressiven Kräften. Ist das das Ende einer Utopie?
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