■ Am Rande: Türkische Presse unter politischem Druck
Heute berät das türkische Parlament über ein neues Pressegesetz, das die islamistisch-konservative Koalition unter Ministerpräsident Necmettin Erbakan angekündigt hat. Schwere Geldstrafen drohen danach Presseorganen, die „Falschmeldungen“ verbreiten. Vorwürfe gegen Politiker sollen nur noch dann vorgebracht werden können, wenn gerichtlich darüber befunden worden ist. Eingebracht hat diesen Entwurf zum Pressegesetz der islamistische Justizminister Sevket Kazan.
„Ein Vernichtungsplan“ gegen die Medien schlagzeilt die größte Tageszeitung Hürriyet in ihrer gestrigen Ausgabe. Die härtesten Pressegesetze seit der Diktatur des osmanischen Sultan Abdülhamit drohten dem Land. Abgeordnete und Mitglieder der Oppositionsparteien demonstrierten in Istanbul mit geschwärzten Zeitungen in ihren Händen gegen das Gesetz.
Unter dem Vorwand, Persönlichkeitsrechte zu schützen, will die Regierungskoalition einen Schutzpanzer um Politiker legen, die in Korruptionsaffären und kriminelle Delikte verwickelt sind. Nach dem Verkehrsunfall in Susurluk, bei dem ein Abgeordneter der „Partei des rechten Weges“ von Außenministerin Tansu Çiller, ein hochrangiger Polizist und ein steckbrieflich gesuchter Attentäter gemeinsam verunglückten, sind in den türkischen Medien eine Reihe von Meldungen erschienen, die die enge Verflechtung von Politik, Mafia und Polizei erhellten. Im Visier ist insbesondere Außenministerin Çiller, der die Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird.
Zahlreiche Morddrohungen gingen gegen Journalisten ein, die in den vergangenen Wochen Belastungsmaterial zusammengetragen hatten. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, ist der Racheakt der Regierung geglückt. Während die „Wohlfahrtspartei“ Erbakans die großen Medienkonzerne, die den Islamisten noch nie freundlich gesonnen waren, ökonomisch schwächen will, ist Çiller vor allem daran interessiert, daß die Beziehungen ihrer Partei zur Unterwelt nicht mehr Gegenstand öffentlicher Diskussion werden. Ömer Erzeren
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen