Türkei: Urlaubsflirt wird zum Politikum
Außenminister Steinmeier setzt sich für den inhaftierten 17-jährigen Deutschen ein. Die Türkei wirft ihm Missbrauch einer 13-Jährigen vor.
BERLIN taz Es kommt selten vor, dass sich Staatsmänner bei einer Konferenz in Brüssel über sexuelle Aktivitäten von Teenagern unterhalten. Am Dienstag ist es so weit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat angekündigt, seinen türkischen Kollegen Abdullah Gül auf den Fall des 17-jährigen Marco W. anzusprechen. Der Deutsche sitzt seit zehn Wochen in einem Gefängnis in der Türkei, weil er wegen angeblichen Missbrauchs einer 13-jährigen Britin angezeigt wurde - von der Mutter des Mädchens, mit dem sich Marco W. in einem Hotelzimmer vergnügte.
Was genau zwischen den beiden ablief, ist noch ungeklärt. Sicher scheint nur, dass Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden - offenbar in gegenseitigem Einvernehmen, wie beide betont haben sollen. Die junge Britin soll ihrer Urlaubsbekanntschaft Marco W. außerdem gesagt haben, sie sei schon 15 Jahre alt. Dennoch wurde der Deutsche inhaftiert. Ihm droht eine Anklage und Verurteilung von bis zu acht Jahren Haft.
Steinmeier will sich nun für den jungen Landsmann einsetzen. Aber er weiß, dass er sich auf einen politischen Drahtseilakt begibt, wenn er den Fall Marco W. ausgerechnet bei einer Konferenz in Brüssel anspricht, bei der es eigentlich um die Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei geht. "Wir tun alle gut daran, diesen Fall nicht politisch in die eine oder andere Richtung zu instrumentalisieren", sagte Steinmeiers Sprecher am Montag in Berlin. Doch das ist eher ein frommer Wunsch. Der Fall sorgt in türkischen und deutschen Medien bereits für große Aufregung. Zahlreiche Politiker haben sich eingeschaltet. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) wies sofort darauf hin, dass der Fall Marco W. deutlich mache, wie stark die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und der Türkei seien. "Nach allem, was wir wissen, ist die Haft völlig unangemessen", erklärte Wulff.
In der Türkei wurden Stimmen laut, die sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten verbaten. Das wiederum wurde auch von den Grünen zurückgewiesen. Konsularischer Schutz gehöre "zum Normalsten auf der Welt", sagte der grüne Menschenrechtspolitiker Volker Beck. In einem normalen Rechtsstaat, so Beck, würde der Fall mit einem Freispruch und einer Einstellung des Verfahrens enden.
Steinmeier steht also gewaltig unter Druck von allen Seiten - was man auch seinen öffentlichen Äußerungen anmerkt. Zunächst wurde er damit zitiert, er wolle die Freilassung von Marco W. einfordern. Kurz darauf betonte sein Sprecher jedoch: "Uns geht es nicht darum, auf das Gericht Einfluss zu nehmen." Man stelle keine Forderungen, sagte der zuständige Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes der taz, die deutsche Botschaft habe lediglich um eine Freilassung und Haftverschonung "gebeten".
Steinmeiers Sprecher dämpfte die Hoffnungen auf eine baldige Freilassung und Rückkehr von Marco W. nach Deutschland. Der Minister wolle seinen türkischen Kollegen darauf hinweisen, dass es sich bei dem Inhaftierten um einen Minderjährigen handele. Zunächst gehe es darum, Hafterleichterungen wie großzügigere Besuchszeiten zu erbitten.
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