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TürkeiInhaftierter wird vom Opfer zum Täter

Der Streit um den 17-Jährigen Marco, der eine Minderjährige missbraucht haben soll, geht weiter. Der türkischer Generalstaatsanwalt kritisiert die deutschen Medien - Merkel setzt sich für eine Rückkehr ein.

Der 17-jährige Marco im Gefängnis in Antalya, begleitet von zwei türkischen Polizisten Bild: ap/hürriyet

ISTANBUL/MANCHESTER dpa Keine Entspannung im Fall Marco: Die Familie des britischen Mädchens, das der 17-Jährige in der Türkei sexuell missbraucht haben soll, will nicht mit den Eltern des jungen Mannes sprechen. Die Eltern der 13-Jährigen sagten am Donnerstag, sie vertrauten auf die türkische Justiz und sähen keine Veranlassung, mit der Familie des Jungen im niedersächsischen Uelzen Kontakt aufzunehmen. Opfer sei nicht der 17-jährige Deutsche, sondern das 13-jährige Kind. Nach einem Kennenlernen in der Disko war Marco im Hotelzimmer der jungen Engländerin gelandet. Während er von Zärtlichkeiten spricht, wirft sie ihm sexuelle Belästigung vor.

Die Familie hat die Polizei eingeschaltet, um das Mädchen auch auf dem Schulweg vor Reportern zu schützen. "Das Haus steht unter Polizeischutz", sagte eine Sprecherin der Polizei in Manchester. "Es gab Belästigungen vor allem von der deutschen Presse." Bisher habe der Fall in Großbritannien keine große Aufmerksamkeit erregt.

Unterdessen haben deutsche Kamerateams vor dem Gefängnis von Antalya, die von dort seit Tagen über den Fall Marco berichten, den Zorn von Generalstaatsanwalt Osman Vuraloglu auf sich gezogen. Er sehe die Berichte deutscher Medien und das Warten der Journalisten vor dem Gefängnis als "versuchte Beeinflussung der Justiz" an, sagte er laut türkischen Zeitungsberichten. Als "Taktlosigkeit" bezeichnete der Generalstaatsanwalt den Anruf von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), in dem sich dieser bei seinem türkischen Kollegen Abdullah Gül für eine Freilassung des Schülers bemüht hatte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) riet zu "Behutsamkeit und Ruhe". "Es ist ja bekannt, das wir auf allen Ebenen, die notwendig sind, mit den türkischen Behörden in Kontakt sind", sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. Das Auswärtige Amt tue dies in ganz hervorragender Weise. "Unser ganzes Ziel sollte sein, dem Jungen zu helfen, so gut das möglich ist."

Auch die SPD sprach sich für eine rasche Heimkehr von Marco aus. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte der Berliner B.Z.: "Es ist richtig, dass sich deutsche Staatsorgane um deutsche Staatsbürger kümmern. Es geht nicht um eine Beurteilung vorab, sondern darum, den Fall vorurteilsfrei nach Deutschland zu holen. Das lässt sowohl das türkische wie auch das deutsche Recht zu. Dabei gibt es auch keinen Strafrabatt. Das würde ich genauso umgekehrt sehen, wenn ein Jugendlicher aus der Türkei hier einer Straftat beschuldigt wird."

Unterdessen warnte der außenpolitische Sprecher der Unions- Bundestagsfraktion, Eckard von Klaeden (CDU), vor politischem Druck auf die türkische Justiz. "Öffentlicher Druck auf Staatsanwälte und Richter führt nur dazu, dass die den Eindruck gewinnen, ihre Unabhängigkeit wird in Frage gestellt", sagte von Klaeden dem Fernsehsender N24. "Und das finden Richter und Staatsanwälte weder in der Türkei noch in Deutschland noch in einem anderen Land, das ich kenne, besonders lustig.

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3 Kommentare

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  • AH
    Axel Hogh

    Ich danke für den überfälligen Blickwinkel auf diese Geschichte, hinter der sich verdeckter und/oder offener Rassismus gut verstecken. Solange in D das Schutzalter bis 15 Jahren gilt, sollten die Ratschäge an die Türkei mit einem Schutzalter bis 13 Jahren unterbleiben. Wenn die Geschichte vergessen ist, werden der deutsche Außenminister u. die Kanzlerin garantiert keine Debatte über die Schutzaltersgrenze beginnen. Stattdessen wird jetzt und weiterhin über eine frühere Strafmündigkeit diskutiert. Jedem Schulhof ab der 6. Klasse machen sich SchülerInnen über diese herrschende Politik lustig.

  • C
    CheHH

    An Mingers:

    Ich frage mich, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat? Es geht hier doch um eine mögliche Straftat, die von den Eltern des Kindes angezeigt wurde, die von der Justiz beurteilt werden muss. Das ist hier in Deutschland nicht anders und von daher auch nicht zu kritisieren. Das ist doch nicht sachlich, wenn man hier Hilfsgüter während des Großen Erdbebens, mit Strafmilderung o.ä. vergleicht. Wo kommen wir denn dahin? Bleibt bitte auf dem Teppich und macht aus der Sache kein Politikum! Und lasst bitte die Religion aus dem Spiel, denn diese hat hier keinen Einfluß und spielt auch keine Rolle. Andernfalls solltest du mal vor der "eigenen" Tür kehren, da hier in Deutschland etliche, ob nun deutsch oder ausländisch, Menschen auf Grund von Vorurteilen, Aussehen und politischer Gesinnung in Gewahrsam genommen werden. Justizia ist blind!

    CheHH

  • M
    Mingers

    Im Hinblick auf die politisierende Haltung der türkischen Behörden sollte man vielleicht einmal alle Beteiligten daran erinnern, dass, als sich das große Erdbeben in der Türkei zugetragen hatte, die deutsche Bevölkerung danach ohne groß darüber nachzudenken und ohne jede Gegenleistung dazu bereit waren, Millionen und Abermillionen für die Menschen in den betroffenen Gebieten zu spenden, wie es ja auch immer wieder geschieht. Und sehr viele Mitarbeiter vom Technischen Hilfswerk Deutschland, dem auch dieser Schüler heute angehört, den man seit Monaten inhaftiert hält, haben bereitwillig der türkischen Bevölkerung geholfen und sie unterstützt. Solche Dinge geraten natürlich leicht in Vergessenheit.

    Ungeachtet dessen ist es meine persönliche Meinung und aus meiner persönlichen Sicht in höchstem Maße beschämend, wenn man aus innenpolitischem Kalkül heraus Politik auf dem Rücken von Kindern austragen will, nur weil es zwei gegenteilige Meinungen zu ?Staat und Religion? in diesem Land gibt und man für sich bessere Wahlchancen erhofft.

    Ich konstatiere daher für mich, dass es den politischen und religiösen Würdenträgern in der Türkei an der ihnen gebotenen Würde fehlt und erkenne in dem dort gelebten Glauben keinerlei Göttliche Eingebung.

    Vielleicht ist es aber auch einfach nur zuviel verlangt, wenn man etwas Menschlichkeit für diesen jungen Deutschen erbittet.