Türkei: Rose mit Kopftuch
Wenn der neue türkische Staatspräsident Gül sein Amt bekleidet, wird nicht er im Mittelpunkt stehen, sondern seine Frau. Oder vielmehr: ihr Kopftuch. Über ein umstrittenes Stück Garderobe.
Wenn Hayrünnisa Gül heute als First Lady an der Seite ihres Gemahls in den türkischen Präsidentenpalast einzieht, dann findet eine monatelange Debatte ihren Abschluss. "Das Kopftuch ist auf dem Weg in den Präsidentenpalast", fasste die türkische Zeitung Cumhuriyet vor einigen Tagen die Ängste vieler säkularer Türken um das höchste Amt im Staate zusammen: Nicht der neue Staatspräsident Abdullah Gül wird deshalb heute im Mittelpunkt stehen, sondern seine Ehefrau Hayrünnisa Gül - und besonders ihr Kopftuch, dass sie stolz in der Öffentlichkeit trägt.
Die wenigen Quadratmeter Stoff mögen in modischer Hinsicht ein Detail sein. In der Türkei aber reichte dieses Stückchen Textil dazu aus, in den vergangenen Monaten eine politische Operette zu inszenieren. Hayrünnisa Gül betrachtet das Kopftuch als Teil ihrer Identität. Ihr streng gebundenes Kopftuch, das in der Türkei "Türban" genannt wird, will sie nicht als Symbol für angebliche Rückständigkeit verstanden wissen. Gül ist die erste strenge Muslimin, die an der Seite ihres Mannes in den Präsidentenpalast einzieht. Für viele säkulare Türken ist sie ein Symbol der islamischen Konterrevolution. Denn der Laizismus, also die strikte Trennung von Religion und Staat, gehört zu den Grundprinzipien der Türkei, die Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in den 20er-Jahren aufgestellt hat. Weil manche ihr vorwerfen, ihr Kopftuch stelle dieses Prinzip in Frage, steht Hayrünnisa Gül von allen Seiten unter Beschuss. Deshalb ist sie wohl gerade die meistdiskutierte Frau ihrer Heimat.
Die neue First Lady, deren Nachname übersetzt "Rose" bedeutet, steht für ein neues Selbstbewusstsein. Sie kämpft schon lange für die islamische Kleiderordnung. Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen organisierte sie einst eine Demonstration gegen das Verbot, mit Kopftuch studieren zu dürfen. Und während andere muslimische Frauen statt eines Tuches mit einer Perücke zur Uni gehen, hat sie gegen das Kopftuchverbot vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Diese zog sie erst zurück, als ihr Mann 2002 kurzfristig Ministerpräsident geworden war.
Egal was Kritiker und Lästermäuler sagen, die "Rose" wird ihr Kopftuch nicht ablegen. Sie ist selbstbewusst genug, um das Gerede wegzustecken und ihren eigenen Stil zu finden. "Das Kopftuch verhüllt meinen Kopf, nicht mein Gehirn", sagte sie einmal. Das sehen einige Karikaturisten etwas anders. So porträtierte das Satiremagazin Leman die Präsidentengattin als lächelndes Playmate-Bunny mit weißen Hasenohren über dem Kopftuch. In einer anderen Zeitschrift wird sie als Comicfigur Marge Simpson mit turmhohem Kopftuch dargestellt. Den durchaus ernsten Vorschlag, eine Perücke zu tragen, lehnte Gül bisher auch ab. Gegen Ratschläge ist sie äußerst resistent. Meldungen, sie habe einen Kopftuchdesigner engagiert, entpuppten sich als falsch. Sogar die FAZ widmete dem Kopftuch der türkischen First Lady einen Artikel und schrieb: "Frau Gül hat angekündigt, ihre Garderobe zu modernisieren." Gerüchte jedoch, sie wolle ein Tuch nach Art der italienischen Film-Diva Sophia Loren umlegen, hat sie dementiert. Veränderungen sind lediglich bei der Farbwahl erkennbar. Trug sie früher meistens einen schwarzen Türban, so wählt sie in letzter Zeit auch schon mal buntere Tücher. Doch hier hört ihre modische Experimentierfreude auch schon auf. Glänzende Sicherheitsnadeln, schrille Farben oder Muster kommen ihr nicht auf den Kopf. Andere junge muslimische Frauen, auch in Berlin-Neukölln, sind ihr da modisch weit voraus.
Das ist Hayrünnisa Gül aber egal. Kopftuch bleibt Kopftuch, basta. Sie wird sich weiterhin den Stoff umbinden, aus dem die säkularen Ängste sind. Die Frau hat ihren eigenen Kopf - und daran müssen sich jetzt wohl auch die westlich orientierten Türkinnen und Türken gewöhnen.
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