Türkei: Marco W. bleibt in Haft
Weil die Prozessunterlagen noch unvollständig sind, muss der 17-Jährige aus Deutschland in Untersuchungshaft bleiben.
ISTANBUL taz Marco W. aus Uelzen kommt noch nicht frei. Der Fall des 17-jährigen Jungen aus Deutschland, der wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer Minderjährigen seit fünf Monaten im türkischen Antalya in Untersuchungshaft sitzt, hängt jetzt von der Aussage der Klägerin ab. Charlotte M. wohnt in Manchester. Ihre Aussage wurde über das dortige türkische Konsulat offiziell und schriftlich angefordert. Ihre Personalien seien zwar auf dem Dienstweg festgestellt worden, ihre Aussage sei aber noch nicht eingetroffen, stellte der zuständige Richter auf der gestrigen Sitzung fest. Wegen unvollständiger Akten wurde die Sitzung auf den 28. September vertagt.
Die Eltern Marco W.s und die deutschen Anwälte nahmen die Entscheidung des Richters, Marco nicht zu entlassen, mit großer Enttäuschung auf. Die türkischen Beobachter zeigen sich jedoch nicht überrascht. Die Gerichtsreporter vor Ort mit langjähriger Prozesserfahrung sind der Ansicht, dass der Richter "sich große Mühe gibt, den Fall korrekt abzuwickeln". So würde jede Sitzung fast drei Stunden dauern, was bei der Auslastung türkischer Gerichte sehr ungewöhnlich sei. Der Medienandrang aus Deutschland hätte den Druck auf den Richter "immens erhöht", sagte der Sabah-Korrespondent in Antalya der taz.
Die Anwälte von Charlotte M. haben gestern einen Antrag auf die Überprüfung des ersten ärztlichen Gutachtens durch eine neu zu bildende Sachverständigenkommission in Antalya gestellt. In dem ersten Bericht im "Tatort" Manavgat hatte der untersuchende Arzt Spermaspuren in der Vagina festgestellt, was nach Ansicht der Anwälte des Mädchens auf einen "Vergewaltigungsversuch" hindeute. Diesen Vorwurf weisen sowohl Marco W. als auch seine Anwälte vehement zurück.
Die Kläger wollen nun, dass das Gericht in der Provinz Antalya selbst eine Expertenkommission bildet oder den Bericht durch die Ärztekommission der Universitätsklinik neu bewerten lässt. Das bedeutet, dass Marco W. auch über den 28. September hinaus in Haft bleiben könnte. Nach türkischen Gesetzen kann Marco W. wegen einer Tat, die er auf türkischem Boden ausübte, nicht in seiner Heimat vor Gericht gestellt werden. Er könnte lediglich für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt werden mit der Auflage, sich etwa täglich bei der örtlichen Polizei zu melden. Der Richter sieht jedoch offensichtlich Fluchtgefahr als gegeben an.
Die große Empörung und der Druck aus Deutschland waren offenbar kontraproduktiv. Weil sein Fall unbestreitbar zu einem Politikum im gestörten Verhältnis der Türkei zu Europa geworden ist, wird Marco W. so bald nicht freikommen, meinen Beobachter.
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