piwik no script img

Türkei vor den Wahlen Großrazzia gegen Kur­d*in­nen

Kurz vor den Wahlen geht die Türkei gegen Politiker, Anwälte und Journalisten vor. Die linke HDP wirft ihr vor, Wähler verunsichern zu wollen.

Polizisten verhaften einen Mann, der gegen die Festnahmen von Journalisten und Politikern protestiert Foto: Sertac Kayar/reuters

ISTANBUL taz | Im Rahmen einer Großrazzia am Dienstag sind 110 kurdische Politiker, Journalisten und Anwälte festgenommen worden. Die Leitung der Operation lag formell bei der Staatsanwaltschaft in Diyarbakır, man kann aber wohl davon ausgehen, dass das Innenministerium in Ankara die treibende Kraft hinter der Razzia war.

Schwerpunkt der Festnahmen war Diyarbakır, die größte kurdisch bewohnte Stadt der Türkei. Insgesamt waren von den Razzien 21 Provinzen betroffen. Unter den festgenommenen Politikern sind nach Angaben der kurdisch-linken Partei HDP auch Özlem Gündüz, ein Vorstandsmitglied der Partei, Mahfuz Güleryüz vom erweiterten Vorstand sowie dutzende weitere Mitglieder.

Wie die Anwaltskammer in Diyarbakır bestätigte, sind auch eine Reihe von Anwälten, die sich in der Vereinigung „Anwälte für die Freiheit“ zusammengeschlossen haben, festgenommen worden. Außerdem sind Journalisten verschiedener kurdischer Medien wie der Mesopotamischen Nachrichtenagentur und der Zeitung Yaşam betroffen.

Die Staatsanwaltschaft erklärte, es ginge um Unterstützung der „Terrororganisation PKK“. Den Festgenommenen werde entweder finanzielle oder propagandistische Unterstützung der PKK vorgeworfen.

Die HDP wirft der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan dagegen vor, bei der Razzia ginge es darum, drei Wochen vor den entscheidenden Präsidentschafts – und Parlamentswahlen am 14. Mai kurdische Organisationen zu schwächen und WählerInnen der HDP zu verunsichern. „Verhaftet wurden Politiker, die die kurdische Bevölkerung vertreten, Journalisten, die sie informieren und Anwälte, die sie notfalls verteidigen könnten“, erklärte die HDP in einer Pressemitteilung.

Kılıçdaroğlu in Umfragen vor Erdoğan

Tatsächlich ist ein Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen naheliegend. Im Kampf zwischen den sechs Parteien, die sich zu einem Oppositionsbündnis zusammengeschlossen haben, und der Koalition, die Erdoğan unterstützt, könnten die kurdischen Stimmen den Ausschlag geben.

Gegen die HDP läuft sowieso ein Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht, das in den nächsten Tagen entschieden werden könnte. Deshalb hat die HDP ihren Wählern bereits gesagt, dass ihre Kandidaten auf der Liste der befreundeten Partei „Grüne-Linke“ kandidieren werden und Unterstützer diese Partei wählen sollten.

Gleichzeitig hat die HDP angekündigt, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, und damit indirekt zur Wahl des Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu aufgerufen. In fast allen Umfragen liegt Kılıçdaroğlu mehr oder weniger deutlich vor Präsident Erdoğan; und auch im Parlament könnte die Opposition die Mehrheit gewinnen.

Viele Beobachter sind deshalb der Meinung, dass das Regierungslager in Panik ist und mit Aktionen wie der Großrazzia am Dienstag versuchen könnte, die Stimmung noch zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Deshalb warnen viele Erdoğan-Kritiker vor weiteren bösen Überraschungen in den Wochen vor der Wahl am 14. Mai.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen