Türkei-Wahl in Berlin: Wählen als olympische Disziplin
Im Olympiastadion stimmen TürkInnen aus vier Bundesländern über ihren nächsten Staatspräsidenten ab. GegnerInnen des Favoriten Erdogan werden ausgelacht.
Es ist nicht ganz so, wie wenn Hertha spielt – aber der Andrang ist auch nicht schlecht am ersten Tag der türkischen Wahl im Berliner Olympiastadion. Bis Sonntag sind in Deutschland lebende türkische StaatsbürgerInnen aufgefordert, den künftigen Staatspräsidenten der Türkei mitzuwählen. Es ist das erste Mal, dass AuslandstürkInnen an ihrem Wohnort an einer türkischen Wahl teilnehmen können. Bisher mussten sie sich dafür mindestens an die türkische Grenze begeben. Wobei „Wohnort“ relativ ist: Auch TürkInnen aus Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern müssen, wenn sie wählen wollen, nach Berlin.
Stetig strömen am Donnerstagvormittag Menschen in Richtung Stadion, Einzelne, Gruppen, Familien mit Kindern – und ebenso stetig wieder zurück. Gewählt wird mit Termin: Wer den online nicht selbst bestimmt hat, bekam von den diplomatischen Vertretungen der Türkei einen zugewiesen. Einige Hundert WählerInnen dürften sich nun kontinuierlich auf dem Gelände des Stadions befinden, wo die türkische Botschaft 51 VIP-Logen als Wahllokale angemietet hat. PressevertreterInnen dürfen nicht hinein.
Doch vor den Toren des Stadions lassen sich viele gern befragen. Umringt von JournalistInnen und Kameras steht ein türkischer Parlamentarier dort, Abgeordneter der Regierungspartei AKP und extra angereist, um sich bei „unseren hiesigen Landsleuten“ für die Unterstützung des AKP-Chefs Recep Tayyip Erdogan zu bedanken. Über dem Kopf des Mannes wehen türkische Fahnen auf dem Dach des Stadions.
Und tatsächlich outen sich die meisten derjenigen, die das Stadion nach der Stimmabgabe verlassen, gern als Erdogan-WählerInnen. Der Noch-Ministerpräsident ist einer von drei Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten. Seinen Mitbewerbern, dem ehemaligen Generalsekretär der Organisation für islamische Zusammenarbeit, Ekmeleddin Ihsanoglu, und dem Kurden Selahattin Demirtas werden kaum Chancen eingeräumt. Ihsanoglu tritt als gemeinsamer Kandidat für die Republikanische Volkspartei CHP und die Partei der Nationalistischen Bewegung MHP an, Demirtas als Vorsitzender der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Erdogans AKP bekam bei den letzten türkischen Parlamentswahlen fast 50 Prozent der Stimmen. Korruptionsvorwürfe, sein brutales Vorgehen gegen die Proteste um den Gezipark im vergangenen Sommer oder sein Mangel an Empathie bei dem schweren Bergwerksunglück in der Türkei mit über 300 Toten im Mai minderten seine Popularität nicht.
Im Gegenteil: Er selbst sei eigentlich ein Linker, erzählt ein 54-Jähriger aus Kreuzberg. Trotzdem habe er Erdogan gewählt: „Weil er die erste wahre Demokratie in der Türkei aufbaut.“ Von den Korruptionsvorwürfen gegen den AKP-Chef glaube er „kein Wort“: „Das sind bloß Medienspekulationen.“ Das Vorgehen gegen die Gezipark-Proteste könne man kritisieren, aber: „Da wollten einige einen Bürgerkrieg anzetteln.“ Das habe Erdogan verhindert.
„Geradlinig“ sei Erdogan, sagt ein anderer AKP-Fan, 44 Jahre alt, seit 40 Jahren in Deutschland. „Wie will denn jemand wie Ihsanoglu, der gar kein Politiker ist, so gegensätzliche Parteien wie CHP und MHP gleichzeitig vertreten?“, schimpft er über den Gegenkandidaten. Außerdem habe der ja „die letzten 30 Jahre gar nicht in der Türkei gelebt“.
Der sei aber wenigstens „ein ruhiger, vernünftiger Mensch“, sagt eine Frau, die Ihsanoglu gewählt hat: „Er schreit nicht so rum wie Erdogan immer.“ Mehr will sie nicht sagen. Ein paar Frauen, die vor dem Stadion Fotos von Ihsanoglu in die Luft halten und „Demokratie ist ein Grundrecht!“ rufen, werden von Erdogan-Fans ausgelacht.
Und auch ein Demirtas-Wähler findet sich: Er sei zwar kein Kurde, aber er traue dem HDP-Chef zu, „das Vertrauen innerhalb der türkischen Gesellschaft wiederherzustellen“. Das habe Erdogan zerstört, der die Bevölkerung in ethnische und religiöse Gruppen spalte.
Nach Abschluss der Stimmabgabe der maximal 140.000 wahlberechtigten TürkInnen aus den vier Bundesländern werden die knapp 500 Wahlurnen aus dem Olympiastadion in die Türkei geflogen. Dort sollen die Stimmen der DeutschtürkInnen ausgezählt werden.
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