: Tüftlers Traum
■ Improvisierte Musik im Lagerhaus: 1001 Töne, putzig und verwirrend
Das Ziepen eines Luftballons, das elektronisch verzerrte Knattern einer Schreibmaschine, eine feierliche Kirchenorgel, das Klacken von Erbsen, die auf eine Trommel fallen, Radioansagen in fremden Sprachen und das Rasseln eines Waschbretts. Was das alles miteinander zu tun hat ?
Die beiden Musiker Claus van Bebber und Helmut Lemke nutzten am Samstag im Lagerhaus dieses akustische Material, zu
sammen mit vielen anderen Sounds, um sie in ihrem Programm „Freie Musik und improvisierte Geräusche“ zu hochkomplizierten Toncollagen zusammenzustellen. Dazu sitzen die beiden auf der Bühne, die vollgeräumt ist mit Instrumenten, Werkzeug, elekronischen Basteleien, einem Wassereimer, Plattenspielern usw. Alles lassen sie irgendwie erklingen, und die Töne, die sie nicht direkt erzeugen können, kommen aus mehr als fünfzig Cassetten, die in einem großen hölzernen Apparatus vermischt, verzerrt, beschleunigt oder verlangsamt werden.
Van Bebber und Lemke müssen leidenschaftliche Tüftler sein, die auch noch ihre Instrumente selber bauen, wie etwa die Tröten aus Plastikschläuchen oder aus Dingen, die wie Gardinenstangen aussehen. Kein Ton kommt ungetrübt in die Ohren des Publikums: auch die elektrische Gitarre wird entweder von einem schwingenden Metallarm oder mit Fingerhüten angeschlagen.
Wer da ganz ordentlich nach dem Sinn des Ganzen sucht, ist schon auf dem Holzweg. Die absurden Texte, die natürlich elektronisch verzerrt und kaum verstehbar rezitiert werden, weisen in die richtige Richtung: Wie bei DaDa liegt der Sinn im Unsinn. Die beiden wollen Klangerlebnisse schaffen; das schon oft Gehörte durch Verfremdung neu und un
erhört erklingen lassen.
Dabei kommen auch Harmonie, Melodie und Rhythmus nicht ungeschunden davon. Manchmal setzten die beiden das Publikum gar einer recht unfeinen Kakophonie aus, aber langweilig ist es nie. Es ist schon allein spannend herauszufinden, was man da denn eigentlich gerade hört; und wer sich auf die skurrilen Ideen der beiden einläßt, kann viel lachen. Zudem ist es sehr selten, daß ein im Zuschauerraum versehentlich zerbrochenes Glas nicht stört, sondern das Konzert noch um eine Dimension bereichert. Diese „Musique Trouvee“ gewährt jedem Geräusch gnädig Einlaß ins Wunderland der schrägen Töne.
Willy Taub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen