: Tschetschenien: Schwerste Kämpfe seit einem Jahr
■ Russische Kampfflugzeuge bombardieren Orte im Süden des Landes. Einwohner kampieren auf offener Straße. 50.000 Flüchtlinge in Nachbarrepublik erwartet
Moskau (AFP/rtr/taz) – Russische Kampfflugzeuge haben gestern mehrere Orte im Süden und Südwesten Tschetscheniens massiv aus der Luft angegriffen. Bombardiert wurden vor allem die Dörfer Samaschki, Bamut und Orechowo, berichtete die Moskauer Nachrichtenagentur ITAR-TASS. In den seit Wochen umkämpften Orten im Süden der abtrünnigen Kaukasusrepublik erreichten die Gefechte nach Angaben von Korrespondenten die größte Intensität seit einem Jahr. Ein russischer Militärsprecher sagte, auch die Region um Urus-Martan, südlich der Hauptstadt Grosny, sei aus der Luft beschossen worden. Dabei wurden mindestens zehn Zivilisten schwer verletzt. In der Nachbarrepublik Inguschetien bereiten sich die Behörden auf die Ankunft von 50.000 Flüchtlingen vor.
Heftige Luft- und Artillerieangriffe richteten sich auch gestern gegen den Ort Samaschki, in dem sich noch rund 6.000 Zivilisten aufhalten sollen. Ein Vertreter der von Moskau eingesetzten Verwaltung sagte, es werde ein Korridor eingerichtet, durch den die Bevölkerung das Dorf verlasssen könne. Die Menschen weigerten sich jedoch, die „Rebellenbasis“ zu verlassen. Tschetschenische Augenzeugen berichteten dagegen, russische Soldaten hinderten die Einwohner des Ortes an der Flucht. Die Menschen säßen schon seit vier Tagen auf der Straße zwischen Samaschki und Scharoi fest und müßten im Freien campieren.
Am Mittwoch hatten die Dorfältesten berichtet, bei der Bombardierung Samaschkis seien 600 Bürger getötet worden. Eine Gruppe flüchtender Frauen, die ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, sei von russischen Soldaten beschossen worden. Die russischen Streitkräfte hatten Ende vergangener Woche mit Panzern und Kampfhubschraubern ihre Angriffe auf Samaschki begonnen.
Auch Sernowodsk, Bamut und Orechowo wurden erneut von russischen Truppen beschossen. Die russischen Militärs vermuten, daß sich dort tschetschenische Rebellen verschanzt haben. Ein Vertreter der Distriktverwaltung, Ali Jasajew, sagte, in Urus-Martan träfen pausenlos Flüchtlinge ein. Viele hätten nur das Nötigste bei sich. Hilfsorganisationen und Journalisten wurden von der russischen Armee daran gehindert, nach Sernowodsk und Bamut zu gelangen.
Auch in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny ist es vorgestern nacht wieder zu Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen gekommen. Dabei wurde das Hauptquartier der russischen Streitkräfte viermal beschossen. Bei den Gefechten sind nach Angaben eines Militärsprechers ein Soldat getötet und acht verwundet worden.
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