Tschechiens Senat für Lissabon-Vertrag: Wieder wichtige Hürde genommen
Totz aller Befürchtungen hat der tschechische Senat dem Lissabon-Vertrag zugestimmt. Jetzt muss noch der zaudernde Präsident Klaus unterschreiben.
Die zweite Hürde auf dem steinigen Weg zur Ratifizierung des Lissabon-Vertrags ist geschafft. Gestern stimmte der tschechische Senat, die zweite Parlamentskammer, über das umstrittene Dokument ab. Die Senatoren sprachen sich mit 54 zu 20 Stimmen für den Vertrag aus. Tschechien hat noch bis Ende Juni die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Schon vor der Abstimmung hatte die tschechische Presse spekuliert, dass 49 der 81 Senatoren für den Vertrag stimmen würden. Auch damit wäre die verfassungsgemäße Dreifünftelmehrheit erreicht. Die untere Parlamentskammer, das Abgeordnetenhaus, hatte schon im Februar für den Vertrag gestimmt.
Nach dem Ja beider Kammern liegt der Ball nun im Feld von Präsident Václav Klaus. Der wohl lauteste Kritiker einer vertieften europäischen Einigung will mit seiner Unterschrift erst einmal abwarten. Bevor sich die Iren nicht eindeutig für Lissabon ausgesprochen hätten, werde er die tschechische Ratifizierung nicht unterschreiben, kündigte Klaus an. Zum anderen will die Lissabon-kritische Fraktion des Senats, die mehrheitlich aus Mitgliedern der liberal-konservativen Bürgerdemokraten (ODS) besteht, eine weitere Verfassungsklage einreichen. Das Verfassungsgericht hat zwar schon im März entschieden, Lissabon stehe im Einklang mit der tschechischen Verfassung. Bei dieser Entscheidung habe es allerdings nur sechs Punkte des Dokuments berücksichtigt, schimpfen die Lissabon-Gegner.
Nicht geschlagen gibt sich auch Václav Klaus politischer Ziehsohn, Petr Mach. Der Vorsitzende der neuen EU-kritischen "Partei der freien Bürger" hat den Präsidenten aufgerufen, den Vertrag nicht zu unterschreiben und stattdessen ein Referendum auszurufen. Eine Lissabon-EU würde große Staaten bevorzugen, während kleinere wie Tschechien ihre Souveränität verlören. Doch Umfragen zufolge unterstützen 64 Prozent der Tschechen eine europäische Einigung à la Lissabon.
Das sei nun mal der Preis für die Mitgliedschaft Tschechiens in der EU, sagte gestern noch Premier Mirek Topolánek, der den Lissabon-Vertrag dem Senat zur Abstimmung vorlegte. "Ich nehme ihn nicht mit großem Enthusiasmus an", erklärte Topolánek. Dafür aber mit einer ordentlichen Portion Pragmatismus: Ohne Lissabon wäre Tschechiens "transatlantische Verankerung gefährdet", sagte er und warnte, eine Ablehnung des Vertrages dränge das Land "in die Arme Moskaus".
Topoláneks Zustimmung zum Lissabon-Vertrag hat inzwischen zu einer Spaltung der ODS geführt. Aus Protest gegen die EU-freundliche Haltung der ODS-Spitze war ihr Gründer und Übervater Václav Klaus im Dezember aus der Partei ausgetreten. Seither schmollt er auf der Prager Burg und übt sich in Querschüssen. Und graut sich vor dem Tag, an dem er die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags unterzeichnen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis