: Tschechen lieben es
Väterchen Tschechien, Sorgenkind Rußland: „Kolya“, ein Oscar-gekrönter Film von Jan Svěrák, kehrt die früheren politischen Verhältnisse um ■ Von Volker Weidermann
„Kolya“ rührt die Tschechen und den Rest der Welt. Seit über einem Jahr in den tschechischen Kinos, bricht der Film des 32jährigen Jan Svěrák dort alle Zuschauerrekorde. Royal Academy Award, Golden Globe und Oscar sind nur eine kleine Auswahl der Preise, die „Kolya“ bislang gewonnen hat. Zdeněk Svěrák, Vater des jungen Filmemachers, der das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle in „Kolya“ spielt, ist in der jungen Republik inzwischen so populär, daß er von Abgeordneten des tschechischen Parlaments bereits für das Amt eines Ombudsmannes des Abgeordnetenhauses vorgeschlagen wurde. Und mit Kolya (Andrej Chalimon), der Titelfigur des Films, haben alle, alle, alle Mitleid.
Große Augen, hilflos, sprachlos, fünf Jahre alt und ganz allein. Der kleine Kolya ruft alle vorhandenen Beschützerinstinkte wach, wie er da eines Tages mit seinem Lederköfferchen auf Loukas Schwelle steht und weint. Louka (eben jener Zdeněk Svěrák) ist ein gutmütiger, gemütlicher tschechischer Brummbär, der nur um eines fürchtet: seine Ruhe. Und Kolya ist Russe, zurückgelassen in Tschechien von seiner Rabenmutter, die jetzt, im Herbst 88, auf dem Weg nach Westen ist. Ganz schuldlos ist Louka nicht daran, daß Kolya jetzt auf seiner Schwelle steht. Immerhin hatte er vor einiger Zeit, für etwas Geld, zum Schein Kolyas Mutter geheiratet, damit sie Papiere für die Flucht nach Westdeutschland bekommt. Doch von Kolya hat sie nichts gesagt. Nun ist er da, und Louka muß sich seufzend fügen. Louka ist Cellist, ein guter Cellist sogar, der vor einiger Zeit aus der Philharmonie geworfen wurde, weil er einmal (er hatte sich gar nichts weiter dabei gedacht, nein, wirklich) in einen offiziellen staatlichen Fragebogen eine spöttische Bemerkung, ein Witzchen nur, geschrieben hatte. Seitdem spielt er nur noch auf kleinen Beerdigungen, oder er erneuert Grabinschriften.
Macht ihm aber nichts. Louka ist nicht der Typ, der sich von irgendwelchen politischen Verhältnissen ernsthaft in sein Leben pfuschen ließe. Im weiteren Verlauf des Films, schon im Oktober 89, gibt es eine Szene, in der er mit einem Kumpel zusammen in einem Schuppen sitzt. Auf Radio Free Europe (im ganzen Film läuft immer irgendwo Radio Free Europe. Hört aber niemand hin) wird live von den Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz gesendet. Es heißt, das alte Regime hält nicht mehr lange stand. Da klopfen die zwei sich lachend auf die Schenkel und meinen: „Laß uns doch auch noch hingehen. Dann können wir sagen, wir haben dazugehört.“ Und lachen sich schlapp.
Sicherlich ist der Film auch deshalb in Tschechien so sensationell erfolgreich, weil er in der Person von Louka (nicht umsonst wurde Zdeněk Svěrák so ein hohes politisches Vertrauensamt angeboten) die Tschechen ehrlich mit ihrer Vergangenheit versöhnt: klar war man nicht dafür, für das System. Man hat sich halt arrangiert, wollte in Ruhe gelassen werden, wie heute eigentlich auch noch. In Ruhe gelassen auch von dem moralischen Rigorismus der ewigen Dissidenten, die mit ihrer kompromißlosen Verurteilerei oft genug verdammt danebenlagen. Im Film wird diese Rolle von Loukas Mutter (Stella Zázvorková) übernommen. Sie jagt den kleinen, unschuldigen Kolya aus dem Haus, als sie erfährt, daß er ein Russe ist, und knallt sowjetischen Soldaten, die höflich darum bitten, in ihrem Hause kurz die Hände waschen zu dürfen, die Tür vor der Nase zu. Spinnt doch, die Alte.
Und in dem Maße, in dem Louka die Tschechen mit ihrer jüngsten Vergangenheit versöhnt, spiegelt sich in Kolya, dem zurückgelassenen russischen Findelkind, das neue tschechische Selbstbewußtsein in Zeiten der Nato-Osterweiterung: süß, der kleine Sorgensohn, der kürzlich noch gefürchteter großer Bruder war.
Aber auch für Nichttschechen ist es (auch trotz Oscar und Millionenerfolg) ein sehr schöner Film: ein wenig sentimental, ohne kitschig zu sein, märchenhaft, unmoralisch, detailverliebt und sehr romantisch. Ein bißchen kann man sich da fühlen, wie Rainald Goetz das kürzlich über Dietls Rossini schrieb: „Nicht, daß das Kollektiv geschmackstechnisch nicht irren könnte, dauernd aufs grausamste anders empfinden würde als man selbst... aber eben nicht immer, manchmal genau NICHT. Manchmal empfindet man wie alle.“
„Kolya“, Regie: Jan Svěrák. Mit Zdeněk Svěrák, Andrej Chalimon. Tschechien, 1996, 105 Min.
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