: Trotzige Routine auf dem Gelöbnix
Im Jahr eins nach dem 11. September beteiligen sich etwa 500 Militärgegner an der Demonstration gegen das Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Bendlerblock. Zuvor hatte die Polizei eine „kreative Störaktion“ vereitelt
Auch Protest kann zur Routine werden: Zum sechsten Mal hatte die Vereinigung „Gelöbnix“ am Samstag zur Demonstration gegen das „öffentliche“ Rekrutengelöbnis im Bendlerblock aufgerufen. Es war die erste „Gelöbnix“-Demo nach dem 11. September, seit dem Afghanistankrieg und dem amerikanischen „Feldzug gegen das Böse“. Und es war eine Demo, der man all das nicht anmerkte.
Unter dem Deckmantel von „Gelöbnix“ verbargen sich die üblichen Verdächtigen. Kampagne gegen Wehrpflicht, Jusos, Attac, DKP, Jungdemokraten, Antifa etc. – insgesamt 40 Organisationen. Im vergangenen Jahr hatten die so genannten Scharping-Töchter, 1999 noch die „Nackten“ bundesweit für Schlagzeilen gesorgt – die Messlatte lag also hoch. Eine „kreative Störaktion“ war auch dieses Jahr wieder geplant – wenn da nicht der „Sicherheitswahn der Berliner Polizei“ gewesen wäre, so Ralf Siemens von der „Kampagne gegen Wehrpflicht“.
Seit Donnerstag hatten sich acht Jungdemokraten im Keller der ehemaligen griechischen Botschaft gegenüber dem Bendlerblock versteckt. 72 Stunden durchhalten, dann wollten sie hinauf in den dritten Stock und von dort aus mit Plakaten und Sirenen das Gelöbnis stören. Fast hätte es geklappt, berichtet Tobias Pforte, stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos. Am Samstagvormittag habe die Polizei das Haus kontrolliert – mit Ausnahme des Kellers. Die Polizei habe das Haus bereits wieder verlassen wollen, als den Beamten im Obergeschoss versteckte Plakate aufgefallen seien. „Dann sind sie doch in den Keller“, so Pforte. Die acht Jungdemokraten wurden vorübergehend festgenommen, sind inzwischen wieder auf freiem Fuß.
Alle Hoffnungen, das Gelöbnis zu stören, lasteten somit auf den Schultern der Demonstranten. Es kamen „weniger, als wir erwartet haben“, gestand Susanne Braun, Sprecherin der Jungdemokraten, ein. „Gut 500“, zählte Organisator Ralf Siemens.
Auf dem Marsch vom Bahnhof Friedrichstraße über den Potsdamer Platz zum Reichpietschufer hallten Parolen wie: „Polen soll bis Frankreich reichen“ und „Alle Soldaten an die Front, auf dass keiner wiederkommt“. Die Jungdemokratin Braun bezeichnete das Bundeswehr-Gelöbnis in einer Rede als „Gleichschaltung des Einzelnen“ und kam zum Fazit: „Das einzig Richtige ist Kriegsdienst verweigern.“ Am Reichpietschufer, 300 Meter vom Gelöbnisort entfernt, war dann an der Mauer von 12 Polizeimannschaftsbussen Endstation für den Protestzug. Um 18.30 Uhr erreichte das Pfeifkonzert in Richtung Bendlerblock seinen Höhepunkt. Chinaböller flogen, Sirenen heulten. Doch dabei blieb es: Einzelne versuchten zwar, Steine aus dem Gehweg zu holen, wurden jedoch von Mitdemonstranten gestoppt.
Berliner Bürger blieben am Wegesrand bestenfalls Beobachter. „Guckt doch nicht so verschreckt“, schallte es den Neugierigen entgegen, „kommt mit!“ Aber die Passanten blieben stehen. Und so klangen die letzten per Lautsprecher verkündeten Demoworte fast etwas trotzig. „Nächstes Jahr kommen wir wieder!“ WOLF VON DEWITZ
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