piwik no script img

■ Trotz zahlreicher Proteste soll am Montag die Raumsonde Cassini auf ihre siebenjährige Reise zum Saturn gehen. Sie soll der Frage nach dem Woher und Wohin von Leben, Mensch und Weltraum nachgehen Von Peter TautfestZum Saturn – dem Leben auf der Spur

Der rund 1,5 Milliarden Kilometer entfernte Saturn hat die Astronomen mit seinen eindrucksvollen Ringen schon seit seiner Entdeckung im 17. Jahrhundert fasziniert. Als Miniaturmodell eines Planetensystems soll der Saturn jetzt neue Erkenntnisse über die Entstehung und weitere Entwicklung des Planeten Erde liefern.

Es gibt hier keine Welten, sagte Xi, „hier lebt niemand“. Die Besatzung war aus dem Schwarzen Loch in die Kreisbahn um einen bläulichen Stern aufgetaucht. Sie untersuchte die ins Unendliche sich ausdehnenden Ringscheiben, wo sie in einer freien Stelle – der Cassini-Lücke in den Saturnringen vergleichbar – inmitten des Allmülls ihre Bahn zogen. Das Ringsystem der Vega – mit wenigen 100 Millionen Jahren Alter zu jung, als daß sich daraus Planeten hätten bilden können.

Die Szene macht nur einen zweiseitigen Abschnitt des 1985 erschienenen Romans „Contact“ von Carl Sagan aus, dessen Verfilmung mit Jodie Foster in der Hauptrolle dieser Tage in die Kinos kommt. Doch sie zeigt das Ziel einer Mission, die kommenden Montag in den USA starten soll. Die Sonde Cassini wird dann von Cape Canaveral (US-Staat Florida) ins All starten.

Sieben Jahre wird der Trip zu dem rund 1,5 Milliarden Kilometer entfernten Planeten dauern. Im Juli 2004 wird die nach dem italienischen Astronomen Gian Domenico Cassini (1625–1712) benannte sieben Meter lange Sonde den Saturn erreichen. Das unbemenschte Objekt soll eine nach dem Niederländer Christian Huygens (1629–1695) benannte Instrumentenkapsel auf dem Saturnmond Titan abwerfen.

Daß die Mission zum Saturnsystem geht, hat den Grund, daß der Planet mit seinen Ringen und insgesamt 18 Monden als Miniaturausgabe eines Sonnensystems angesehen werden kann. Die in dieser fernen Welt gewonnenen Erkenntnisse sollen Einblicke in die Entstehung unseres Sonnensystems bringen. Letztlich geht es beim Cassini-Trip um die Beantwortung der Urfrage nach dem Woher und Wohin von Leben, Mensch und Weltraum.

Dabei gibt es über den Saturn nach wie vor wenig gesichertes Wissen. Bekannt ist, daß noch in kosmischer Vorzeit Nebel aus Stäuben und Gasen durch den Weltraum waberten, die umeinander wirbelten und sich der Schwerkraft folgend zu Himmelskörpern zusammenballten. Je nach dem, welche Anteile an Silikatstäuben und Wasserstoff von den Schwerkraftstrudeln erfaßt wurden, entstanden feste Planeten – wie die Erde oder Gaskugeln wie der Saturn. Und je nach der Größe der Gasmassen entstanden Planeten oder Sonnen.

Damals nämlich, als die ineinanderstürzenden Gaswirbel soviel Gravitationsenergie und Hitze freisetzten, daß in ihrem Inneren eine Kernfusion zündete, entstanden Sterne. „Zwischen Planeten und Sternen gibt es ein Kontinuum“, sagt Jonathan Lunine vom Cassini-Forschungsstab an der US-University of Arizona.

Dieses Kontinuum läßt sich in unserem Sonnensystem verfolgen, dessen neun Planeten in zwei Ausführungen vorkommen. Den vier sonnennahen festen Himmelskörpern Merkur, Venus, Erde und Mars folgen im weiteren Abstand zur Sonne die vier gasförmigen Riesenplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Pluto, der sonnenfernste Planet, ist wegen seiner Umlaufbahn, die an der Grenze zwischen Sonnensystem und jenseitiger Sternenwelt verläuft, ein Fall für sich: Über diesen Planeten weiß man am wenigsten.

Wäre Jupiter, der größte Planet unseres Sonnensystems, hundertmal größer, hätte es zur Zündung einer Kernfusion gereicht und unser Planetensystem hätte statt einer gleich zwei Sonnen. Aber auch der kleinere Saturn strahlt noch 73 Prozent mehr Energie ab, als er von der Sonne erhält. Offen ist der Grund für diese positive Energiebilanz – und die Sonde Cassini soll ihm auf die Spur kommen.

Bekannt ist immerhin, daß seine Strahlung aus der Energie der Schwerkraft gespeist wird: Die leichten Heliumatome in den oberen Schichten stürzen, der Schwerkraft folgend, in den Planetenkern. Die bei diesem Prozeß freigesetzte Energie wird in den Weltraum abgegeben. Das Gravitationsvermögen des Saturns reicht jedoch nicht aus, um, wie bei unserer Sonne, die Heliumkerne zu verschmelzen.

Auch der Ursprung der Saturnringe, einer der beeindruckendsten Erscheinungen im Weltall, ist ungeklärt. Nur knapp 100 Kilometer mächtig, würden sie in ihrer Ausdehnung den Raum zwischen Erde und Mond füllen können. Sie bestehen aus Staub, Steinbrocken und Eisklumpen, deren Ausmaße vom Sandkorn bis zum Einfamilienhaus reichen. Unklar ist, ob sie „Abfallmaterial“ sind, das bei der Bildung unseres Sonnensystems übriggeblieben ist. Für diese These spricht die Existenz von vergleichbaren Ringsystemen bei Jupiter, Uranus und Neptun, auch wenn diese wenig ausgeprägt sind. Die Ringe könnten auch aus Trümmern von Monden bestehen, die in einer von der Saturnschwerkraft ausgelösten kosmischen Katastrophe zu Bruch gingen.

Die Ringe bestehen jedenfalls aus dem Stoff, aus dem Planeten gemacht werden – Rohmaterial, an dem man fast in „Echtzeit“ zu beobachten hofft, wie sich Himmelskörper zusammenfügen. Jedoch nicht in Saturnnähe, wo die Gravitation zu groß ist, aber am Rand des Ringsystems, wo kleinere Monde entstanden sind.

Nicht minder spannend ist der Mond Titan. 1655 von Christian Huygens entdeckt, ergaben im Jahre 1944 Spektralanalysen, daß der größte Saturnmond eine Atmosphäre mit Methananteilen aufweist. Nochmals 30 Jahre später entdeckte man, daß der rötliche Schimmer Titans nicht von dessen Oberfläche herrührte, sondern Dunstwolken sind. Aber woraus bestanden sie?

Carl Sagan und sein Kollege Bishun Khare beschossen im Reagenzglas verschiedene methanhaltige Atmosphären mit UV-Strahlen und Elektronen. Sie erhielten einen rötlichen Niederschlag aus Kohlenstoffmolekülen, den sie – nach dem griechischen Wort für Schlamm – Tholin nannten. 1980 und 1981 brachten die Sonden Voyager 1 und 2 die Bestätigung: Titan hat eine Atmosphäre, die wie zu Urzeiten der Erde vorwiegend aus Stickstoff besteht und sechs Prozent Methan enthält.

Auf die dunstverhangene Oberfläche Titans aber „regnet seit Jahrmilliarden der Baustoff des Lebens wie Manna vom Himmel“ (Sagan). Weitere Versuche mit diesem Stoff ergaben, daß aus ihm bei der Reaktion mit Wasser Aminosäure entsteht, eine der Grundstoffe des Lebens.

Wie aber konnte Tholin auf dem eisigen Titan überhaupt mit Wasser eine chemische Verbindung eingehen? Nach Sagan ist davon auszugehen, daß periodisch Kometen auf der Titanoberfläche niedergegangen sind und vorhandenes oder mitgeführtes Eis durch die Einschlagsenergie für Jahrtausende, vielleicht für Jahrmillionen aufgetaut ist – zu kurz, um Leben, aber lang genug, um dessen Vorformen entstehen zu lassen.

Was auch immer aus diesen Bausteinen sich bildete: Dieser Prozeß läuft bei minus 179 Grad im Zeitlupentempo ab. Seine Untersuchung könnte eine Rückblende in die Anfänge der Entstehung des Lebens auf unserer Erde ermöglichen.

„Raumfahrt und Raumforschung bekommen nicht erst durch unmittelbare Nutzanwendung ihren Wert“, antwortet John M. Logsdon von der George Washington University und Vorsitzender des Beraterstabs der „Planetary Society“, den Kritikern des über 5,3 Milliarden Mark teuren Projekts. Denn „auch eine Beethoven-Sonate hat keinen Gebrauchswert“. Gleichwohl liefert die Raumforschung auf das System Erde übertragbare Erkenntnisse. Was ein außer Kontrolle geratener Treibhauseffekt anrichtet, wurde auf der Venus beobachtet; der nukleare Winter, ausgelöst durch Staubstürme, auf dem Mars.

Vier sehr irdische Fragen kann die Cassini- Mission nach Auskunft von Dennis Ellis vom „Jet Propulsion Laboratory“ beantworten: So toben auf dem Saturn Stürme mit Windgeschwindigkeiten von über 1.000 Kilometern pro Stunde. Die Zyklone entstehen wie auf der Erde durch atmosphärische Konvektionswalzen, nur daß auf dem Saturn nicht die Sonne, sondern das Saturninnere die Heizquelle ist. Die Ausschaltung solch irdischer Parameter wie Sonneneinstrahlung und die Verteilung von Wasser- und Landmassen erlaubt es, Wetterphänomene wie im Versuchslabor zu studieren. Untersuchungen des Magnetfelds vom Saturn sollen Erkenntnisse liefern über geologische und klimatische Veränderungen der Erde. Möglicherweise ist auf dem Saturn ein Prozeß im Gange, den auch die Erde schon durchgemacht hat, die Umpolung von Nord- und Südpol. Was das für Geologie und Klima der Erde bedeutet, ist weitgehend unbekannt. Das Studium der Saturnringe wird vor allem neue Einblicke in die Plasma- und Pulverphysik ermöglichen. Und schließlich wird Cassini erstmals die Magnetosphäre eines Planeten sichtbar machen. Sie aber ist es, die Leben überhaupt erst ermöglicht, weil sie vor UV- und kosmischer Strahlung schützt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen