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Tribal-Metal vom Zuckerhut

Die Gruppe Sepultura vom Stamme Heavy Metal, Brasiliens härtester Exportartikel, auf Landpartie: Im Urwald, beim Stamm der Xavantes, suchten sie nach ihren Wurzeln. Ergebnis: Ethno-Metal der seltsamen Art  ■ Von Christoph Twickel

Im Jahre 1986 hätte niemand für möglich gehalten, daß ein paar 16jährige Kids aus Belo Horizonte, die sich „Max Possessed“ oder „Igo Skull Crusher“ nannten, dereinst neben Gilberto Gil oder Caetano Veloso einer der größten musikalischen Exportschlager Brasiliens werden würden. In Europa wurde das erste Sepultura-Album „Morbid Visions“ seinerzeit als schlechter Scherz und kultige Kuriosität gehandelt; es war gar die Rede von der Welt schlechtester Metalband, so ungeschlacht und holprig waren die gottlosen Lärmergüsse der lateinamerikanischen Teenager. Noch skurriler als ihr Dilettantismus schien zu sein, daß sich ausgerechnet Brasilianer an ein Genre wagten, das man als extreme Ausgeburt westlich-pubertärer Untergangsphantasien wohl in Skandinavien, niemals jedoch in südlichen Drittwelthemisphären vermutet hätte.

Eine Dekade und tausend Metalplatten später findet in Rio die erste brasilianische MTV- Award-Verleihung statt: Sepultura jammen mit dem bekannten Perkussionisten Carlinhos Brown live auf der Bühne, und nicht zuletzt wegen der vier berühmt gewordenen Headbanger gehören Mosher-Kutten hier zum Straßenbild wie Wellblechhütten.

Warum auch sollte das Universum des extremen Metal in all seiner Versponnenheit brasilianischen Kids auch ferner liegen als europäischen oder amerikanischen? Das Freizeitangebot des Death-, Trash-, Speed- oder Black- Metal, sich alternativ zur alltäglichen in ganz und gar unmoralische Fantasy-Welten einzuhausen, ist international. Seine Emblematik kokettiert mit einem postapokalyptischen Verwüstungszustand, in dem vor lauter Schädelbergen, Foltermaschinen, Pestschwaden und heidnischem Gedöns die Kluft zwischen sog. Erster und Dritter Welt locker verblaßt.

„Natürlich haben wir uns am Anfang unserer Karriere sehr in Richtung Europa und USA orientiert“, sagt Gitarrist Andreas Kisser. „Antichrist, Schwarze Magie, all das morbide Zeug, so war das eben. Du schnappst ein paar Worte auf und machst ein Lied daraus. Wir haben einfach die standardisierten Themen bedient.“

Die satanistischen Klischees der alten Schule, aus denen sich Sepultura ihren brasilianischen Metal- Bootleg bastelten, sind längst überwunden; seit spätestens drei Jahren ist die Band stilbildende Kraft für eine Metalinnovation, die in Fachkreisen unter dem Kürzel „Biopantura“ abgelegt wird: Biohazard, Pantera, Sepultura – Formationen, die für den Einzug bleischwerer Grooves in die Metalknüppelei stehen, für eine urbane Überlebenskampfattitüde mit Hardcore-Anleihen.

Geblieben ist Sepultura die Vorliebe für das Apokalyptische, Großartig-Mythische, und weil die vier Brasilianer im Unterschied zu Biohazard und Pantera ihrer Herkunft halber die Vietnam-Veteran-Romantik und Kraftmeierei der US-Stars ausgespart haben, beziehen sie sich mit der genreüblichen Survival-Mythologie eben auf ihre Existenz als Drittwelt-Underdog. Heiser röhrend kündet Sänger Max Cavalera im Titelstück des neuen Albums „Roots“ von ihrer wachsenden Stärke und verspricht, uns zu ihren Wurzeln zu führen: „Roots, bloody roots!“

„Es war uns wichtig, uns bewußt zu werden, woher wir kommen“, erklärt Kisser, „und die indiguenas sind nun mal die ältesten Wurzeln Brasiliens.“ So haben Sepultura weder Kosten noch Mühe gescheut, um sich und ihr mobiles Aufnahmestudio unter Umgehung der zuständigen Regierungsstellen für eine Woche beim Stamm der Xavantes nahe der bolivianischen Grenze einzuschleusen. Auf den mitgebrachten Erinnerungsfotos sehen wir vier gut im Futter stehende Metalmusiker mit kurzen Hosen und Militärstiefeln, wie sie einer typischen Gesichtsbemalung unterzogen werden, rituellen Tänzen beiwohnen und eine bestaunte Unplugged-Session auf staubigem Lehmboden geben.

Doch auch wenn sich national denkende Menschen der gemeinsamen Staatszugehörigkeit wegen nur allzu gerne anderer Leute Traditionen ans Revers heften, konnte den aufrechten Trikont-Metallern nicht entgehen, daß sie bei ihrem Abenteuerurlaub nicht auf eigene Wurzeln stießen, sondern einen etwas hilflosen „cultural exchange“ inszenierten, wie Kisser es nennt. Das Ergebnis dieses Austausches, der Song „Itsári“, dokumentiert denn auch, daß die beiden Lager musikalisch wenig miteinander anzufangen wußten: Eine eifrig schrammelnde Schlaggitarre versucht, dem für sich stehenden Ritualgesang der Xavantes etwas Dramatisierendes hinzuzufügen und landet bei einem Lagerfeuerkitsch, der leider in der Hauptsache nur von der romantisierenden Stammesmusikvorstellung der Metaller zeugt. Nenn es Weltmusik jenseits von Sting und Paul Simon, nenn es Solidaritätserklärung einer engagierten Band mit einem Stamm, dem der brasilianische Staat das Leben schwermacht, die Zukunft des Ethno-Metal jedenfalls liegt anderswo.

Wie es gehen könnte, zeigen uns Sepultura in ihrer Kollaboration mit Carlinhos Brown, jenem Perkussionisten, den sie beim MTV- Award in Rio kennenlernten. „Das ist ein Typ, für den alles perkussiv ist“, sagt Andreas Kisser über Brown, der zur Zeit zu den gefragtesten Songschreibern Brasiliens zählt und mit rund zweihundert Straßenkindern ein experimentelles Perkussionsensemble geschaffen hat. „Tattamahatta“ heißt das gemeinsame Stück, eine rhythmisierende Verballhornung der Phrase „Rat of Manhattan“, und der Titel ist Programm. Mit Djembe, Berimbau und Dutzenden von Schlaginstrumenten mehr lehrt Brown den Metal die Perkussion, liefert sich mit Sänger Cavalera auf portugiesisch wütende Wechselgesänge und skandiert ekstatisch Vokalrhythmen zu tiefergelegtem Gitarrensud.

Auch die afro-brasilianische Nuance, die Browns Schlag- und Mundwerk dem infernalischen Lärm von Sepultura geben, will Gitarrist Kisser unter den Begriff „Roots“ subsumiert wissen, aber im Unterschied zu dem Xavantes- Experiment legt die Verbindung aus Trommelgewitter und dissonanter Mosher-Garstigkeit tatsächlich etwas von dem frei, was Brasiliens Kuttenträger Nummer eins von vielen anderen ihres Genres abhebt: ihre komplexe, perkussive Art, den Metal zu spielen, der Verzicht auf die glasklar-knackige Produktionsweise, in der die meisten Konkurrenten ihr Geballer kredenzen, zugunsten eines überdreht-noisigen Sounds, unter dessen lärmiger Oberfläche viele Feinheiten versteckt sind, riefen schon auf den letzten beiden Alben Assoziationen einer jenseitigen Stammesmusik hervor, die durch die Zusammenarbeit mit Carlinhos Brown und dem fulminant übersteuerten Mosh-HipHop-Jam „Lookaway“ mit DJ Lethal von House Of Pain sowie Mike Patton (Faith No More) und Jonathan Davis (Korn) konsequent zementiert werden.

Auch mit ihren politischen Stücken frönen Sepultura der tribalistischen Metapher: In Titeln wie „Territory“, „Nomad“, „Ambush“ oder „Dictatorshit“ stilisieren die Brasilianer ihre Empörung über Unterdrückung und Folter zum Material für das Szenario des geschundenen Nomadenvolkes in einer metal-typischen postapokalyptischen Endzeit.

Daß Sepultura, wie kürzlich bei ihrem Konzert in Hamburg, ihren Tribalismus mit urucuroter Sängermähne und archaischen Trommeleinlagen heute offensiv vor sich hertragen, löste bei den Fans der alten Schule ein wenig Irritation aus: Zu sehr hat sich die Szene an das ritualisierte Wechselspiel von speedigem Geballer und schweren Abnickern gewöhnt. Vielleicht kommt dereinst ein findiger Ethnologe daher, der mit Lévi-Strauss und Liebe zum Genre in einer vergleichenden Untersuchung von Stammesriten, Ornamentik und Mythologie die Seelenverwandtschaft zwischen Amazonasvölkern und Metalgemeinden darlegt.

Bis dahin jedoch dürfen wir den Kultus der Brasi-Mosher getrost als subtropische Popkultur der interessanteren Art würdigen.

Sepultura: „Roots“. Roadrunner Records

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