: Trendwende in der Justiz
RECHTSLAGE Für den BGH ist die Sache bereits klar
FREIBURG taz | Der Bundesgerichtshof hat dem Bundestag keinen Auftrag zur Neuregelung der Präimplantationsdiagnostik (PID) gegeben. Er hat in seinem Urteil vom Juli dieses Jahres vielmehr die Rechtslage selbst so geklärt, dass nun im Wesentlichen Rechtssicherheit besteht. Ein neues Gesetz wäre nur dann erforderlich, wenn der Bundestag mit der Interpretation der Richter mehrheitlich nicht einverstanden ist.
Anlass der BGH-Entscheidung war eine Selbstanzeige des Berliner Arztes Matthias Bloechle (siehe Interview unten). Er hatte ein Gutachten der Kieler Strafrechtsprofessorin Monika Frommel eingeholt, die ihm bescheinigte, dass PID heute schon straflos möglich ist. Um eine gerichtliche Klarstellung zu erhalten, so Frommels Rat, solle sich der Arzt nach einer durchgeführten PID bei der Justiz melden.
Bloechle wurde daraufhin vom Landgericht Berlin freigesprochen und der BGH bestätigte den Freispruch. Sogar die Bundesanwaltschaft hatte in der Verhandlung auf Freispruch plädiert. Es handelte sich bei dem liberalen Leipziger Urteil also nicht um eine Einzelmeinung, sondern um eine breit getragene Trendwende in der Justiz. Das Urteil galt aber dennoch als überraschend, weil bisher in Justiz, Politik und Fachwelt davon ausgegangen wurde, dass die PID durch das Embryonenschutzgesetz verboten ist. Das Gesetz von 1990 verbietet unter anderem die Verwendung von Embryonen zu einem „nicht der Erhaltung dienenden Zweck“.
Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig hat das Embryonenschutz nun einschränkend ausgelegt. Dessen Ziel sei es unter anderem, Forschung an Embryonen zu verhindern. Das Gesetz habe aber nicht verhindern sollen, dass künstlich befruchtete Embryonen vor der Einpflanzung auf „schwerwiegende genetische Belastungen“ untersucht werden.
Die Richter argumentierten zum einen historisch: Als das Gesetz 1990 beschlossen wurde, sei die PID noch gar nicht praktisch anwendbar gewesen. Zum anderen fanden die Richter im Gesetz eine „Wertentscheidung“, die eine Embryonenselektion zulässt. So ist laut Embryonenschutzgesetz (§ 3) eine Geschlechtswahl ausdrücklich erlaubt, wenn sie „dazu dient, das Kind vor […] einer geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren“.
Der BGH hat nun entschieden, dass die PID in solchen Fällen zulässig ist. Nicht erlaubt ist die PID aber zum Beispiel, um das Geschlecht des Kindes aus nichtmedizinischen Gründen auszuwählen. Die BGH-Richter verlangen dabei keine spezielle Vorbelastung der Eltern, um eine PID durchzuführen. Allerdings macht eine PID praktisch nur dann Sinn, wenn es bereits Hinweise auf eine konkrete mögliche Erbkrankheit gibt.
CHRISTIAN RATH